Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtswidrige Tarifregelung zur Zeitgutschrift im Krankheitsfall. Anspruch des Arbeitnehmers auf Gutschrift der vollen krankheitsbedingt ausgefallenen regelmäßigen Arbeitszeit

 

Leitsatz (amtlich)

Eine tarifvertragliche Regelung, die bei durchgehender Auszahlung des Entgelts für die regelmäßige Arbeitszeit (auch bei Mehr- oder Minderleistung) für den Krankheitsfall pro krankheitsbedingt ausgefallenem Arbeitstag die Zeitgutschrift einer geringeren als der regelmäßig anfallenden Arbeitszeit auf dem Arbeitszeitkonto mit der Folge der Verrechnung auf dem Arbeitszeitkonto vorhandener Gutstunden bzw. einer Verpflichtung zur späteren Nacharbeit vorsieht, ist mit dem gem. § 12 EGFZ unabdingbaren Grundsatz der vollen Entgeltfortzahlung nicht vereinbar. Es handelt sich nicht um eine gem. § 4 Abs. 4 EFZG zulässige Berechnungsmethode der maßgeblichen Arbeitszeit. In diesem Fall besteht ein Anspruch auf Gutschrift der vollen krankheitsbedingt ausgefallenen regelmäßigen Arbeitszeit.

 

Normenkette

EFZG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, 4, § 12; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; BS-TV §§ 6, 7 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 18.11.2012; Aktenzeichen 41 Ca 8781/12)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. November 2012, 41 Ca 8781/12 teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers 4 Arbeitsstunden gutzuschreiben.

II. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger zu 91/100 und die Beklagte zu 9/100 zu tragen. Die Kosten zweiter Instanz hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit seiner Klage verlangt der Kläger eine weitere Zeitgutschrift für Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit.

Der Kläger ist seit 1. Februar 2006 bei der Beklagten als Luftsicherheitsassistent tätig. Gemäß dem Arbeitsvertrag (s. Bl. 10, 11 d.A.) finden auf das Arbeitsverhältnis haustarifvertragliche Regelungen Anwendung.

Am 10. Februar 2012 schlossen die Beklagte und die Gewerkschaft ver.di einen "Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung" (im Folgenden: BS-TV). Gemäß der Präambel dieses Tarifvertrags gingen die Tarifvertragsparteien davon aus, der Flughafen BER werde am 3. Juni 2012 seinen Betrieb aufnehmen, wobei in der Anlaufphase Juni 2012 bis Mai 2013 nur ein geringerer und anschließend ein höherer Arbeitsbedarf für die Beklagte anfallen werde. Ziel dieses Tarifvertrags sei es, die Arbeitsplätze zu erhalten und betriebsbedingte Kündigungen aus Gründen fehlender Dienstleistungsstunden auszuschließen. Der Tarifvertrag, auf den im Übrigen Bezug genommen wird (s. Bl. 15-21 d.A.) trifft u.a. folgende Regelungen:

"§ 3 Urlaubsentgelt

...

(2) Die Zeitbemessung für einen Urlaubstag bestimmt sich mit 1/20 der individualvertraglichen Monatsarbeitszeit, die maßgeblich für das Regelentgelt des Beschäftigten ist, wobei die Bewertung wie folgt vorgenommen wird:

≫ 8 Stunden bei 160 Std. AV

≫ 7 Stunden bei 140 Std. AV

≫ 6 Stunden bei 120 Std. AV

≫ 5 Stunden bei 100 Std. AV / usw.

§ 4 Regelentgelt und Arbeitszeitumfang

Die Höhe des monatlichen Regelentgelts bestimmt sich nach dem nachfolgenden geregelten tariflichen Arbeitszeitumfang für Vollzeitbeschäftigte oder dem individualvertraglichen Arbeitszeitumfang für Teilzeitbeschäftigte. ...

(1) Regelentgelt - Arbeitszeit

Als tarifliche Arbeitszeit für den vollen Kalendermonat werden für Vollzeitbeschäftigte 160 Monatsarbeitsstunden vereinbart. Für Teilzeitbeschäftigte ist die für den vollen Kalendermonat arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit maßgebend. ...

(2) Die Höhe des Regelentgeltes berechnet sich mit den in Nr. 1 genannten Arbeitszeiten multipliziert mit der tariflichen Stundenvergütung des Flächentarifvertrages (Anlage zum ETV Berlin-Brandenburg vom 21.11.2010).

(3) ...

(4) Regelentgelt - Arbeitszeitkonto

Das Regelentgelt wird unabhängig von der tatsächlichen Stundenleistung, die der Beschäftigte im Monat erbringt, gezahlt. Deshalb wird für jeden Beschäftigten ein Arbeitszeitkonto geführt. Bei monatlich geringeren oder den Arbeitszeitumfang des Regelentgeltes überschreitenden Leistungen werden diese dem Arbeitszeitkonto belastet oder gutgeschrieben. Nähere Ausführungen zu dem Arbeitszeitkonto erfolgen in § 6 Arbeitszeitkonto.

§ 6 Arbeitszeitkonto

Mit Zahlung des Regelentgeltes ab dem 01.02.2012 richtet S. [d. Bekl.] für jeden Beschäftigten ein Arbeitszeitkonto ein. Für das Arbeitszeitkonto wird maximal bis zum 31.12.2013 nachfolgende Systematik vereinbart:

(1) Positiv-Eintrag

a) Wird die für das Regelentgelt maßgebliche Arbeitszeit überschritten, werden monatlich bis zu 8 Arbeitsstunden dem Arbeitszeitkonto des Beschäftigten gutgeschrieben. Alle darüber hinaus geleisteten Arbeitsstunden werden mit dem Regelentgelt gemäß § 4 ausgezahlt.

b) ....

(2) Negativ-Belastung

a) Wird der tarifliche Arbeitszeitumfang eines Vollzeitbeschäftigten oder die individualvertragliche Arbeitszeit eines Teilzeitbeschäftigten unterschritten, wird die Differenz zu dem Arbeitszeitumfang, der dem Rege...

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