Entscheidungsstichwort (Thema)
Beendigung eines Arbeitsverhältnisses aufgrund gesetzlicher Anordnung. Gesetzliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Schließung einer Betriebskrankenkasse
Leitsatz (redaktionell)
Die Beendigungsregelung gemäß §§ 155 Abs. 4 Satz 9, 164 Abs. 3 und 4 SGB V ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Normenkette
SGB V § 155 Abs. 4 S. 9, § 164 Abs. 2-4; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1, Art. 20; SGB V § 164 Abs. 3 Sätze 1-4, Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.12.2011; Aktenzeichen 16 Ca 7933/11) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08.12.2011 - 16 Ca 7933/11 - abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses.
Die am ......1959 geborene, einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Klägerin stand seit dem 1.1.1979 zur Beklagten und ihren Rechtsvorgängern in einem Arbeitsverhältnis als Sozialversicherungsfachangestellte. Ihr monatlicher Bruttoverdienst betrug zuletzt 2.485,39 Euro bei einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 29,15 Stunden. Derzeit erhält sie eine bis zum 13.8.2013 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Sie ist Mitglied der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft. Auf ihr Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Betriebskrankenkassen (MTV) Anwendung. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 MTV ist das Arbeitsverhältnis nach Vollendung des 50. Lebensjahres und einer zehnjährigen Beschäftigungszeit nur aus einem in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden wichtigen Grund kündbar.
Die Beklagte, eine geöffnete Betriebskrankenkasse mit Sitz in Stuttgart und weiteren Geschäftsstellen in Berlin und Hamburg, ist zum 1.4.2004 aus einem Zusammenschluss der BKK B. und der BKK H. entstanden. In die BKK B., Körperschaft des öffentlichen Rechts, ist zum 1.1.1999 die frühere Betriebskrankenkasse des Landes Berlin überführt worden, mit der die Klägerin ursprünglich ihr Arbeitsverhältnis begründet hatte. Nach Anzeige ihrer Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung vom 7.4.2011 verfügte das Bundesversicherungsamt (BVA) mit Bescheid vom 4.5.2011 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Schließung der Beklagten zum 30.6.2011. Die Klägerin wurde hiervon mit Schreiben vom 6.5.2011 informiert. Ihr wurde mitgeteilt, dass ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der Schließung gemäß §§ 153, 155 Abs. 4 Satz 9 und 164 Abs. 4 SGB V zum 30.6.2011 endet. Das ihr von dem Landesverband der Betriebskrankenkassen Baden-Württemberg im Rahmen des Unterbringungsverfahrens unterbreitete Beschäftigungsangebot vom 13.5.2011 hat die Klägerin nicht angenommen. Mit einem weiteren, am 30.5.2011 zugegangenen Schreiben vom 24.5.2011 kündigte die Beklagte ihr vorsorglich betriebsbedingt zum 30.6.2011, hilfsweise zum 31.12.2011. Hiergegen wehrt sich die Klägerin mit der am 26.5.2011 eingegangenen Klage. Mit der am 3.6.2011 eingegangenen und mit dem vorliegenden Verfahren verbundenen Klage vom selben Tage greift sie die Kündigung vom 24.5.2011 an. Gegenüber dem Land Berlin hat die Klägerin in einem weiteren Verfahren ein Rückkehrrecht geltend gemacht.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V in unmittelbarer Folge des Schließungsbescheides geendet hat. Die Regelung des § 164 Abs. 4 SGB V treffen sie nicht. Es würden nur die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten enden, die nicht nach Absatz 3 untergebracht werden. Aufgrund ihrer ordentlichen Unkündbarkeit gemäß § 20 Abs. 1 MTV sei sie aber nach § 164Absatz 3 Satz 3 SGB V unterzubringen. Das sei nicht geschehen. Das ihr unterbreitete Beschäftigungsangebot sei wegen seiner Unbestimmtheit hinsichtlich der zu verrichtenden Tätigkeiten, der zu zahlenden Vergütung und der anzurechnenden Betriebszugehörigkeit sowie wegen der Entfernung der neuen Arbeitsstelle von mehr als 550 km und ihrer familiären Anbindung an Berlin unzumutbar. Es habe schon wegen ihrer vollen Erwerbsminderung nicht angenommen werden können. Zudem sei die Beendigungsregelung nur so zu verstehen, dass die Arbeitsverhältnisse lediglich unter Einhaltung der kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften und tariflichen Regelungen mit dem Tag der Kündigung beendet werden können. Andernfalls sei § 164 Abs. 4 SGB V mit Art. 9 und 12 GG nicht vereinbar. Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der gesetzlichen Vorschriften des SGB V ohne Einhaltung der tariflichen Kündigungsfirsten stelle einen unzulässigen Eingriff in ihre durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit dar und berühre das durch Art. 9 GG geschützte Grundrecht der Koalitionsfreiheit. Ihr Aufgabenbereich sei auch nicht weggefallen, weil noch für die Dauer von mindestens 2 Jahren Abwicklungsarbeiten zu erledigen seien. Im Übrigen verstoße die Beschränkung der Unterbringungsregelung auf ordentlich unkündbare Arbei...