Entscheidungsstichwort (Thema)
Beendigung eines Arbeitsverhältnisses aufgrund gesetzlicher Anordnung. Gesetzliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Schließung einer Betriebskrankenkasse
Leitsatz (redaktionell)
Die Beendigungsregelung gemäß §§ 155 Abs. 4 Satz 9, 164 Abs. 3 und 4 SGB V ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Normenkette
SGB V § 155 Abs. 4 S. 9, § 164 Abs. 2-4; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1, Art. 20; SGB V § 164 Abs. 3 Sätze 1-4, Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.12.2011; Aktenzeichen 16 Ca 8354/11) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08.12.2011 - 16 Ca 8354/11 - abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses.
Der am .....1963 geborene Kläger stand seit dem 15.8.2000 zur Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin in einem Arbeitsverhältnis als Fachinformatiker. Sein monatlicher Bruttoverdienst betrug 3.700,00 Euro. Auf sein Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Betriebskrankenkassen (MTV) Anwendung. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 MTV ist das Arbeitsverhältnis nach Vollendung des 50. Lebensjahres und einer zehnjährigen Beschäftigungszeit nur aus einem in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden wichtigen Grund kündbar.
Die Beklagte, eine geöffnete Betriebskrankenkasse mit Sitz in Stuttgart und weiteren Geschäftsstellen in Berlin und Hamburg, ist zum 1.4.2004 aus einem Zusammenschluss der BKK B. und der BKK H. entstanden. Nach Anzeige ihrer Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung vom 7.4.2011 verfügte das Bundesversicherungsamt (BVA) mit Bescheid vom 4.5.2011 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ihre Schließung zum 30.6.2011. Die Beklagte informierte den Kläger hiervon mit Schreiben vom 6.5.2011, das ihm 13.5.2011 zugegangen ist. Sie teilte ihm mit, dass sein Arbeitsverhältnis aufgrund der Schließung gemäß §§ 153, 155 Abs. 4 Satz 9 und 164 Abs. 4 SGB V zum 30.6.2011 endet. Nach Widerspruch des Hauptpersonalrates vom 17.5.2011 kündigte sie ihm vorsorglich mit einem weiteren, am 25.5.2011 ausgehändigten Schreiben vom 19.5.2011 betriebsbedingt zum 30.6.2011, hilfsweise zum 30.9.2011. Hiergegen wehrt sich der Kläger mit der am 1.6.2011 eingegangenen Klage. Da in dem Bereich Informationstechnologie/First Level Support, in dem er beschäftigt war, wegen Abwicklungsarbeiten noch Bedarf an seiner Arbeitsleistung bestand, schlossen er am 22.6.2011 einen vom 1.7.2011 bis zum 30.6.2012 befristeten Arbeitsvertrag mit der "C. BKK Körperschaft des öffentliche Rechts in Abwicklung." In seiner Präambel ist festgehalten, dass die Arbeitgeberin nicht die Rechtsnachfolgerin der C. BKK, sondern als eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit den Abwicklungsarbeiten betraut ist.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass sein Arbeitsverhältnis nicht nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V in unmittelbarer Folge des Schließungsbescheides geendet hat. Die Regelung sei mit Art. 3 und 12 GG nicht vereinbar. Sie komme für ordentlich kündbare Arbeitnehmer ohnehin nicht zur Anwendung. Die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses ergebe sich auch nicht aus dem behaupteten Verlust der Rechtsfähigkeit seiner Arbeitgeberin. Sie bestehe gemäß § 155 AGB V solange fort, wie es der Zweck der Abwicklung erfordere. Die ausgesprochene Kündigung sei wegen des fortbestehenden Beschäftigungsbedarfs und mangels Sozialauswahl nicht sozial gerechtfertigt. Sie sei zudem mangels ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrates unwirksam.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass das Arbeitsverhältnis unmittelbar aufgrund gesetzlicher Anordnung mit der Schließung zum 30.6.2011 geendet habe. Die Vereinbarung der befristeten Beschäftigung ab dem 1.7.2011 ändere daran nichts. Der Beendigungsautomatismus erfasse sowohl die ordentlich kündbaren als auch die ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer. Er sei nicht von Unterbringungsbemühungen und ihrem Erfolg abhängig. Das sei folgerichtig, weil sie mit der Schließung ihre Rechtspersönlichkeit verloren habe und damit den Arbeitnehmern der Arbeitgeber abhanden gekommen sei. Die Regelung des § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V sei nicht verfassungswidrig. Selbst wenn ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 GG vorliegen würde, sei er zur Sicherung eines bezahlbaren Krankenversicherungsschutzes geeignet, erforderlich und angemessen. Art. 9 Abs. 3 GG sei nicht verletzt, weil die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter verkürzten Fristen und ohne Rücksicht auf den Ausschluss ordentlicher Unkündbarkeit möglich und hinzunehmen sei. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liege mangels vergleichbarer Sachverhalte nicht vor. Andernfalls hätte er lediglich einen Anspruch des benachteiligten Arbeitnehmers auf Gleichstellung oder Schadensersatz, nicht aber die Unwirksamkeit der Beendigungsregelung zur Folge. Jedenfalls sei die wegen der vollständigen Betri...