Entscheidungsstichwort (Thema)
Einzelhandel. Tarifvertrag. Gesamtzusage. Auslegung. Verrechnungsvorbehalt. Einmalzahlung
Leitsatz (amtlich)
1. § 6a Ziff. 1 ETV ist dahin auszulegen, dass sich die Gesamteinmalzahlung nur bezogen auf solche Monate um ein Zwölftel vermindert, für die überhaupt kein Anspruch auf Entgelt, Entgeltfortzahlung oder Zuschuss zum Mutterschaftsgeld besteht. Eine zeitanteilige Kürzung nach Tagen oder Stunden ist nicht zulässig.
2. Zur Auslegung in einer Gesamtzusage über eine „freiwillige vorweggenommene Tariflohnerhöhung” mit Verrechungsvorbehalt
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; TVG § 1; BGB §§ 305c, 307 Abs. 1, § 366 Abs. 1; § 6a Ziff. 1 des Tarifvertrages über Gehälter, Löhne und Ausbildungsvergütungen für den Berliner Einzelhandel i.d.F. vom 04.09.2008 (ETV)
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 03.08.2009; Aktenzeichen 19 Ca 6889/09) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen – das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 03.08.2009 – 19 Ca 6889/09 – teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 14,66 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.07.2009 zu zahlen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 92,92 % und die Beklagte zu 7,08 % zu tragen.
III. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche auf eine tarifliche Einmalzahlung, eine freiwillige prozentuale Entgelterhöhung und eine freiwillige Sonderzahlung.
Die Klägerin ist bei der Beklagten, einem Einzelhandelsunternehmen, seit 1999 als Mitarbeiterin Kasse/Verkauf in einer Filiale in Berlin-G. beschäftigt und seit vielen Jahren Mitglied der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Sie wird nach der Gehaltsgruppe K2 des Tarifvertrages über Gehälter, Löhne und Ausbildungsvergütungen für den Berliner Einzelhandel (im Folgenden: ETV) vergütet. Ihre regelmäßige monatliche Arbeitszeit beträgt 120 Stunden. In § 3 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 4. Juli 1999 (Bl. 9 ff. d. A.) haben die Parteien die Anwendung der in Berlin geltenden einschlägigen Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung vereinbart.
2007 und 2008 führten die Tarifvertragsparteien des Einzelhandels, darunter auch die des Berliner Einzelhandels, zähe und langwierige Tarifverhandlungen u. a. über einen neuen Entgelttarifvertrag. Es kam mehrfach zu Streikmaßnahmen auch gegenüber der Beklagten. Die Klägerin nahm an den Streikmaßnahmen insgesamt 76 Stunden teil.
Im Zuge der Tarifauseinandersetzungen zahlte die Beklagte ihren Beschäftigten zusammen mit der Vergütung für den Monat Dezember 2007 eine „vorweggenomme Einmalzahlung” in Höhe von 250,00 EUR brutto für Vollzeitbeschäftigte und anteilig für Teilzeitbeschäftigte. Ab dem Monat Januar 2008 erhöhte sie das Tarifentgelt freiwillig um 1,7 Prozent. Die Leistungen hatte sie im Dezember 2007 durch einen an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Unternehmensgruppe K. Deutschland gerichteten Aushang (Bl. 15 d. A.) angekündigt. Dieser lautet auszugsweise wie folgt:
„Tariflohnerhöhungen – bei K. kein Problem! |
Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen nicht länger auf ihr Geld warten! |
K. zahlt eine freiwillige vorweggenommene Tariflohnerhöhung in Form einer Einmalzahlung sowie eine Erhöhung der tariflichen Löhne und Gehälter! |
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… |
Aufgrund des derzeitigen Verhandlungsstandes in der aktuellen Tarifrunde und des zuletzt vorgelegten Arbeitgeberangebotes haben wir entschieden, eine vorweggenommene Einmalzahlung |
in Höhe von 250,00 EURO brutto für Vollzeitkräfte |
(anteilig für sozial- und steuerpflichtige Teilzeitkräfte) |
zur Überbrückung des derzeitigen tariflosen Zustandes in den Tarifbereichen des Einzelhandels mit der Dezemberabrechnung 2007 auszubezahlen. |
Ab 01.01.2008 erhalten Sie zudem bis zum Abschluss der Tarifverhandlungen monatlich eine freiwillige vorweggenommene Erhöhung Ihres Tarif – Lohns oder Gehalts in Höhe von |
1,7 % brutto. |
… |
Mit Blick auf den zu erwartenden Tarifabschluss in den jeweiligen Bundesländern behalten wir uns vor, diese vorweggenommenen freiwilligen Tariflohnerhöhungen mit evtl. Nachzahlungen, Ausgleichszahlungen, etc. zu verrechnen. |
… |
Wir möchten Ihnen liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dieser vorweggenommenen Überbrückungszahlung auch für Ihre hervorragenden Leistungen und ihrer Loyalität zu K. in 2007 danken und freuen uns mit Ihnen auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Weihnachtsgeschäft ohne größere Belastung durch die laufende Tarifrunde. …” |
An die Klägerin zahlte die Beklagte mit der Vergütung für den Monat Dezember 2007 einen Betrag von 184,05 EUR brutto und ab Januar 2008 zusätzlich zum Tarifentgelt 25,50 EUR brutto monatlich.
Im September 2008 einigten sich der Handelsverband Berlin-Brandenburg e. V. und ver.di, Landesbezirk Berlin-Brandenburg, u. a. auf eine Einmalzahlung für die Monate Juli 2007 bis Juni 2008 von 400,00 EUR brutto für Vollzeitbeschäftigte und ...