Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des SokaSiG. Zulässigkeit der Rückwirkung
Leitsatz (amtlich)
Das Sozialkassenverfahrenssicherungsgesetz verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Insbesondere liegt keine Verletzung von Art. 20 Abs. 3 GG aufgrund der Rückwirkung dieses Gesetzes vor. Aufgrund der vorhergehenden entsprechenden Allgemeinverbindlicherklärungen konnte kein schutzwürdiges Vertrauen in eine unterbleibende Inanspruchnahme entstehen.
Normenkette
SokaSiG § 7; GG Art. 19-20, 9
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 05.07.2016; Aktenzeichen 64 Ca 80718/16) |
Nachgehend
Tenor
I. Das Versäumnisurteil vom 20.01.2017 wird aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 05.07.2016 - 64 Ca 80718/16 - wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits unter Ausnahme der Kosten der Säumnis im Termin am 20.01.2017, die der Kläger zu tragen hat, zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Verzugszinsen für den Zinszeitraum 1. Januar 2014 bis 30. Juni 2014.
Der Kläger ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.
Mit seiner Klage hat der Kläger Verzugszinsen für den streitgegenständlichen Zeitraum auf Sozialkassenbeiträge für Dezember 2006 bis Januar 2012 verlangt, zu deren Zahlung die Beklagte teilweise rechtskräftig, im Übrigen aufgrund von vorläufig vollstreckbaren Entscheidungen verurteilt wurde und geltend gemacht, ausgehend hiervon bestehe Anspruch auf den hinsichtlich der Berechnung der Höhe nach im Einzelnen dargelegten Anspruch.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.373,76 Euro zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Beklagte durch Urteil vom 5. Juli 2016 antragsgemäß zur Zahlung verurteilt und zur Begründung ausgeführt, der geltend gemachte Anspruch ergebe sich aus § 20 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV Bau) in der jeweils gültigen und für allgemeinverbindlich erklärten Fassung. Da die Beklagte nach den Urteilen die der Berechnung zugrunde liegenden Beiträge schulde und sich mit der Zahlung im Verzug befinde, bestehe Anspruch auf die rechnerisch schlüssig dargelegten Zinsen.
Gegen dieses ihr am 10. August 2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am Montag, den 12. September 2016 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 10. November 2016 begründet. Zur Begründung macht die Beklagte geltend, die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV-Bau für den streitgegenständlichen Zeitraum sei unwirksam. Es fehle an einer Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Forderung.
Das zwischenzeitlich in Kraft getretene Sozialkassenverfahrenssicherungsgesetz (SoKaSiG) sei weder mit dem Grundgesetz noch mit der Grundrechtecharta vereinbar. Es liege angesichts der vorliegenden echten Rückwirkung ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot gem. Art. 20 Abs. 3 GG vor, die Voraussetzungen einer ausnahmsweise zulässigen Rückwirkung seien nicht gegeben. Zudem verstoße das Gesetz gegen die Tarifautonomie, greife unzulässig in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Freiheit ein und sei nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar. Auch liege ein unzulässiges Einzelfallgesetz vor. Zudem verstoße das Gesetz gegen Art. 12, Art. 28, Art. 16, Art. 17, Art. 20 GRC und Art. 107 Abs. 1 AEUV, weshalb eine Vorlage nach Art. 267 AEUV geboten sei.
Die Beklagte hat beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. Juli 2016 - 64 Ca 80952/16 - abzuändern und die Klage abzuweisen. Gegen das am 20. Januar 2017 antragsgemäß ergangene, dem Kläger am 24. Januar 2017 zugestellte Versäumnisurteil hat dieser am 26. Januar 2017 Einspruch eingelegt.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Versäumnisurteil vom 20. Januar 2017 aufrechtzuerhalten.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
das Versäumnisurteil vom 20. Januar 2017 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger macht geltend, jedenfalls die Allgemeinverbindlicherklärung 2006 sei nach Rücknahme der Beschwerde gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. August 2015, Az. 7 BVL 5007/14, 7 BVL 5008/14 wirksam. Die Beklagte werde von der Nachwirkung dieses Tarifvertrages umfasst, da sie bereits zu diesem Zeitpunkt einen Baubetrieb unterhalten habe. Unabhängig hiervon ergebe sich der Anspruch aus dem zwischenzeitlich in Kraft getretenen Sozialkassenverfahrenssicherungsgesetz.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Rechtsvortrages wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist zulässig.
Die gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 b) ArbGG statthafte Berufung ist frist- und formgerecht gem. § 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m....