Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des SokaSig. Zulässigkeit der Rückwirkung
Leitsatz (amtlich)
Das Sozialkassenverfahrenssicherungsgesetz verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Insbesondere liegt keine Verletzung von Art. 20 Abs. 3 GG aufgrund der Rückwirkung dieses Gesetzes vor. Aufgrund der vorhergehenden entsprechenden Allgemeinverbindlicherklärungen konnte kein schutzwürdiges Vertrauen in eine unterbleibende Inanspruchnahme entstehen.
Normenkette
SokaSiG § 7; GG Art. 19-20, 9
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 05.07.2016; Aktenzeichen 64 Ca 80952/16) |
Nachgehend
Tenor
I. Das Versäumnisurteil vom 20.01.2017 wird aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 05.07.2016 - 64 Ca 80952/16 - wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits unter Ausnahme der Kosten der Säumnis im Termin am 20.01.2017, die der Kläger zu tragen hat, zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Beiträgen für die Monate November 2011 bis Januar 2012.
Der Kläger ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Zahlung von Mindestbeiträgen für die Monate November 2011 bis Januar 2012 bei Beschäftigung von mindestens einem Arbeitnehmer pro Monat geltend gemacht. Zur Begründung hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, bei dem Betrieb der Beklagten handle es sich um einen Baubetrieb im Sinne des § 1 Abs. 2 VTV-Bau. Die gewerblichen Arbeitnehmer hätten im Kalenderjahr 2011 und 2012 zu mehr als 50% ihrer persönlichen Arbeitszeit, die zusammengerechnet mindestens mehr als 50% der betrieblichen Gesamtarbeitszeit in diesem Zeitraum ausgemacht hätte, Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Tiefbauarbeiten und damit im Zusammenhang stehende Transportarbeiten erbracht. Der Höhe nach ergebe sich die als Mindestbeitrag geltend gemachte Beitragsforderung aus den Durchschnittslöhnen in der Bauwirtschaft und dem jeweils geltenden Beitragssatz.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.155,00 Euro zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat geltend gemacht, für die Forderung gebe es keine Anspruchsgrundlage. Insbesondere sei die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV unwirksam.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Beklagte durch Urteil vom 5. Juli 2016 antragsgemäß zur Zahlung verurteilt und zur Begründung unter Bezugnahme des Urteiles des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Mai 2016 - 14 Sa 1730/15 - betreffend die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Beiträgen für die Zeit von Januar 2010 bis Oktober 2011 im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte führe nach Vortrag des Klägers arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten nach § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 10 und Nr. 29 VTV-Bau, d.h. Erdbewegungsarbeiten und Spreng-, Abbruch- und Enttrümmerungsarbeiten aus. Diesem Vortrag sei die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Die Allgemeinverbindlicherklärung dieses Tarifvertrages sei wirksam.
Gegen dieses ihr am 10. August 2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am Montag, den 12. September 2016 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 10. November 2016 begründet. Zur Begründung macht die Beklagte geltend, die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV-Bau für den streitgegenständlichen Zeitraum sei unwirksam. Es fehle an einer Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Forderung.
Das zwischenzeitlich in Kraft getretene Sozialkassenverfahrenssicherungsgesetz (SoKaSiG) sei weder mit dem Grundgesetz noch mit der Grundrechtecharta vereinbar. Es liege angesichts der vorliegenden echten Rückwirkung ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot gem. Art. 20 Abs. 3 GG vor, die Voraussetzungen einer ausnahmsweise zulässigen Rückwirkung seien nicht gegeben. Zudem verstoße das Gesetz gegen die Tarifautonomie, greife unzulässig in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Freiheit ein und sei nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar. Auch liege ein unzulässiges Einzelfallgesetz vor. Zudem verstoße das Gesetz gegen Art. 12, Art. 28, Art. 16, Art. 17, Art. 20 GRC und Art. 107 Abs. 1 AEUV.
Die Beklagte hat beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. Juli 2016 - 64 Ca 80952/16 - abzuändern und die Klage abzuweisen. Gegen das am 20. Januar 2017 antragsgemäß ergangene, dem Kläger am 24. Januar 2017 zugestellte Versäumnisurteil hat dieser am 26. Januar 2017 Einspruch eingelegt.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Versäumnisurteil vom 20. Januar 2017 aufrechtzuerhalten.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
das Versäumnisurteil vom 20. Januar 2017 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger führt aus, jedenfalls die Allgemeinverbindlicherklärung von...