Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer vor Abschluss der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ausgesprochenen Änderungskündigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG gilt die Zustimmung des Betriebsrats zu einer ordentlichen Kündigung nur dann als erteilt, wenn sich der Betriebsrat innerhalb der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht geäußert hat (vgl. BAG 8. April 2003 - 2 AZR 515/02 - AP Nr. 133 zu § 102 BetrVG 1972 = NZA 2003, 961 = EzA § 102 BetrVG 2001 Nr. 3, Rn. 20).

2. Spricht der Arbeitgeber eine Kündigung vor Ablauf der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG aus, so ist dies ausnahmsweise dann unschädlich, wenn der Betriebsrat mit einer Erklärung oder einer entsprechenden Verhaltensweise zum Ausdruck gebracht hat, er wünsche keine weitere Erörterung der Angelegenheit mehr. Ein solcher Ausnahmefall war hier gegeben. Durch die Formulierung "Die Anhörung ... hat stattgefunden" kam dies vor dem konkreten Hintergrund der Erklärung ausreichend zum Ausdruck.

3. Die Klage gegen die zum selben Beendigungszeitpunkt ausgesprochene Beendigungskündigung ist schon deshalb unbegründet, weil das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls aufgrund der wirksamen Änderungskündigung aufgelöst wird und das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum vorgesehenen Beendigungszeitpunkt Voraussetzung der Begründetheit des Kündigungsschutzantrages gewesen wäre (vgl. dazu BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - AP Nr. 47 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung = NZA 2009, 1136 = EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8, Rn. 47).

 

Normenkette

KSchG § 1; BetrVG § 102

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 21.09.2011; Aktenzeichen 39 Ca 19290/10)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21.09.2011 - 39 Ca 19290/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Beendigungskündigung vom 1. Dezember 2010 und einer betriebsbedingten Änderungskündigung vom 31. Mai 2011, beide ausgesprochen zum 31. Dezember 2012.

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1984 in Berlin beschäftigt, zuletzt als Maschinenführerin. Die Beklagte hat ihren Hauptsitz in Hamburg und Werke ua. in Berlin und Langenhagen. Die Geschäftsführung der Beklagten beschloss am 18. Juni 2008 entsprechend einer Weisung ihrer Muttergesellschaft vom 16. Juni 2008 die schrittweise Verlagerung des Berliner Betriebs mit dem Ziel der Stilllegung der Betriebsstätte in Berlin. Einen Tag später unterrichtete die Personalleiterin, Frau B., den Betriebsrat hierüber.

Am 27. Februar 2009 schlossen die Beklagte und der bei ihr gebildete Gesamtbetriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste. Danach war zunächst die vollständige Stilllegung des Berliner Betriebes zum 30. Juni 2012 vorgesehen. Ebenfalls am 27. Februar 2009 schlossen die Beklagte, ihre alleinige Gesellschafterin, die I.-T.-H. International B.V., der Betriebsrat des Berliner Betriebs, die Betriebsräte der Betriebsstätten in Langenhagen und Hamburg sowie des Außendienstes und der Gesamtbetriebsrat eine "Betriebsvereinbarung Stellenbesetzung". Diese Betriebsvereinbarung regelt das Verfahren zum Angebot freier Arbeitsplätze an den Standorten Langenhagen und Hamburg und im Außendienst. Im Jahr 2010 begann die Beklagte damit, Produktionsanlagen in Berlin umzubauen, um diese sukzessive nach Langenhagen und Tarnowo (Polen) zu verbringen. Außerdem wurden Produktionsvolumina nach Langenhagen und auf Standorte in Polen, Nantes und Logrono verlagert. Den Belegschaftsmitgliedern wurden kontinuierlich - den Absprachen mit den Betriebsräten entsprechend - auf verschiedenen Wegen freie Stellen in Hamburg und Langenhagen mitgeteilt. Am 8. Oktober 2010 wurde dieser Prozess beendet. Die eingegangenen Interessenbekundungen wurden gesichtet. Nachdem sich der Umstrukturierungsprozess verzögert hatte, schlossen die Parteien des Interessenausgleichs am 27. Oktober 2010 eine Änderungsvereinbarung, die eine vollständige Stilllegung des Werkes in Berlin nun erst zum 31. Dezember 2012 vorsah. Die Kündigungsfristen wurden für alle Belegschaftsmitglieder um sechs Monate verlängert. Diesem Interessenausgleich war ebenfalls eine Namensliste beigefügt, in der die Klägerin genannt ist. Auch zu der "Betriebsvereinbarung Stellenbesetzung" wurde am 27. Oktober 2010 eine Änderungsvereinbarung getroffen. Die vorhandenen Stellen sind nach Maßgabe dieser geänderten Vereinbarung vergeben worden. Die Klägerin hatte kein Interesse bekundet.

Im Rahmen der Konsultation gab der Betriebsrat mit Schreiben vom 29. Oktober 2010 folgende Stellungnahme ab:

"Der Betriebsrat sieht keine Möglichkeit, die nach dem Konsultationsschreiben vom 27. Oktober 2010 aufgrund der Betriebsstilllegung geplanten Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken. Der zugrunde liegende Sachverhalt einschließlich etwaiger Möglichkeiten zur Vermeidung oder Einschränkungen der geplanten Entlas...

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