Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorübergehende Verkürzung der Arbeitszeit für die Dauer von dreißig Monaten
Leitsatz (amtlich)
1) Eine Arbeitszeitverkürzung um 2,5 Stunden mit einem 20%igem Lohnausgleich für 30 Monate ist vorübergehend im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG.
2) Ein individueller Günstigkeitsvergleich zwischen einer Betriebsvereinbarung und einem Arbeitsvertrag ergibt die Anwendung der Betriebsvereinbarung, wenn einem Kündigungsschutz für 46 Monate eine Vergütungsreduzierung von netto ca. 3,5 % für 30 Monate gegenüber steht.
Leitsatz (redaktionell)
Ob eine Arbeitszeitverkürzung nur vorübergehend oder doch dauerhaft ist, hängt davon ab, ob nach einem bestimmten Zeitraum zu der bisherigen Arbeitszeit zurückgekehrt werden soll und das alte Arbeitszeitgefüge prägend bleibt.
Eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel muss immer transparent sein, also zumindest so formuliert sein, dass deren Inhalt bestimmbar ist.
Normenkette
BGB §§ 133, 157; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 3, § 77 Abs. 4 S. 1; BGB § 613a
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 25.10.2018; Aktenzeichen 63 Ca 9377/17) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25. Oktober 2018 - 63 Ca 9377/17 wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.
III. Der Gebührenwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.760,00 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz über den Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit im Arbeitsverhältnis der Parteien, den sich daraus ergebenden Beschäftigungsumfang, die Verpflichtung zur entsprechenden Abrechnung und die Differenzvergütungsbeträge von April 2018 bis Februar 2019 in Höhe von 192 EUR brutto/mtl.
Die Klägerin ist 57 Jahre alt (geb.... 1962) und seit dem 1. Oktober 1990 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern als Sachbearbeiterin beschäftigt. Die Klägerin war zunächst bei der Berliner V. (Ost) aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 21. September 1990 beschäftigt. Mit Arbeitsvertrag vom 23. Januar 1991 wurde das Arbeitsverhältnis ab dem 1. Januar 1991 mit der Berliner V. eG fortgesetzt. In diesem Vertrag ist unter anderem geregelt:
Der Tarifvertrag für die V. und R. sowie die genossenschaftlichen Zentralbanken und die Betriebsvereinbarungen für den Betrieb der Berliner V. eG, K.damm 86, 1000 Berlin 19 sind Bestandteil dieses Vertrages.
Im Rahmen eines Betriebs(teil)übergangs ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin ab dem 6. April 2009 auf die Beklagte über. In dem Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB (Bl. 10-20 d.A.) ist u.a. ausgeführt:
Der bestehende Arbeitsvertrag geht somit unverändert auf die VR FDL über. ... Die VR FDL ist nicht Mitglied im Arbeitgeberverband der Volks- und Raiffeisenbanken und daher nicht tarifgebunden. Die gegenwärtig für die BVB geltenden Tarifverträge finden aber bis auf weiteres in der VR FDL Anwendung. Sie werden kraft Gesetzes Bestandteil der Einzelarbeitsverträge der Mitarbeiter/innen der VR FDL. Die VR FDL behält sich vor, die Anwendung der jeweils gültigen Tarifverträge durch schriftliche Ankündigung mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende des Kalenderjahres gegenüber jedem/jeder Beschäftigten zu beenden, frühestens jedoch vier Jahre nach dem Betriebsübergang.
Die Berliner V. eG ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes der Deutschen V. und R. (AVR) und hat durchgehend die von dem AVR abgeschlossenen Tarifverträge angewandt.
Mit einem Schreiben vom 28. November 2016 informierte die Berliner V. eG die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten, dass sie von der Beklagten erwarte, dass Kosteneinsparungen im Umfang von 6 Mio. EUR jährlich bis Ende 2018 erbracht würden. Ziel des personalwirtschaftlichen Konzeptes sei es, unter Berücksichtigung der Altersfluktuation möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten.
Unter dem 6. Dezember 2016 einigte der AVR sich mit dem Deutschen Bankangestelltenverband (DBV) einerseits und dem DHV - Die Berufsgewerkschaft e.V. (DHV) andererseits jeweils auf neue Regelungen im Manteltarifvertrag (MTV). Dieser lautet seither in § 19 unter anderem:
"5. Öffnungsklausel zur Beschäftigungssicherung
Zur Vermeidung von Entlassungen und zur Sicherung der Beschäftigung kann durch freiwillige Betriebsvereinbarung die wöchentliche Arbeitszeit für Mitarbeitergruppen, einzelne Abteilungen oder ganze Betriebsteile um bis zu 20 % gekürzt werden; die Bezüge und sonstigen Leistungen werden grundsätzlich entsprechend gekürzt. Die sich ergebende Kürzung der Bezüge wird vom Arbeitgeber zu 20 % ausgeglichen. ... Während der Laufzeit der Betriebsvereinbarung dürfen gegenüber den von ihr erfassten Mitarbeitern keine betriebsbedingten Beendigungskündigungen ausgesprochen werden. ... Diese Regelung ist befristet bis zum 31. Dezember 2019. Nach dem Ende der Befristung wirkt die Regelung nach."
Am 1. Februar 2017 schlossen die Beklagte und der bei ihr gebildete Betriebsrat eine erstmals zum 30. November 2020 kündbare Betriebsvereinbarung "Demografie", in deren Präambel ...