Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachtarbeitszuschlag 25 Prozent. Angemessenheit des Nachtarbeitszuschlags für Servicechef der Deutschen Bahn AG bei dauerhafter und regelmäßiger Nachtarbeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 6 Abs. 5 ArbZG überlässt die Ausgestaltung des Ausgleichs für Nachtarbeit wegen der größeren Sachnähe den Tarifvertragsparteien und schafft nur subsidiär einen gesetzlichen Anspruch; auch wenn die Tarifvertragsparteien grundsätzlich frei darin sind, wie sie den Ausgleich regeln, muss die tarifliche Regelung doch eine Kompensation für die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen vorsehen.

2. Der tarifliche Ausgleich kann nicht nur ausdrücklich sondern auch stillschweigend geregelt sein; den allgemeinen tariflichen Arbeitsbedingungen kann eine stillschweigende Ausgleichsregelung aber nur entnommen werden, wenn entweder der Tarifvertrag selbst entsprechende Hinweise enthält oder sich dafür aus der Tarifgeschichte oder aus Besonderheiten des Geltungsbereichs Anhaltspunkte ergeben.

3. Weder der MTV noch der ErgTV SiZ/Ost vom 27.06.1997 sehen einen Ausgleich für die im Fahrdienst geleistete Nachtarbeit vor; auch der ErgTV SiZ/West vom 27.06.1997 enthält keine tarifvertragliche Ausgleichsregelung für Nachtarbeit.

4. Zur Bemessung des gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG zu gewährenden angemessenen Ausgleichs erscheint es grundsätzlich sachgerecht, bei dauerhaftem Einsatz in den Nachtstunden eine Erhöhung des regelmäßig als angemessen anzusehenden Prozentsatzes von 25 zu gewähren, da eine dauerhaft während der Nacht zu leistende Arbeit gesundheitlich belastender ist als eine nur an einzelnen Tagen oder einzelnen Wochen in kürzeren Wechseln zur Tagschicht zu leistende Arbeit; fällt andererseits in die Nachtarbeit ein nicht geringer Anteil von Arbeitsbereitschaft (in der Regel mindestens 30 %) und kommt auch der gesetzlich angestrebte Zweck, Nachtarbeit durch Verteuerung unattraktiv zu machen, nicht zum Tragen, wenn nach dem Betriebszweck Nachtarbeit unvermeidbar ist, sind diese Umstände anspruchsmindernd zu berücksichtigen.

5. Andere im Wirtschaftszweig der Arbeitgeberin bestehende Tarifverträge können nur dann eine Orientierung hinsichtlich der Angemessenheit bieten, wenn sie vom Unternehmenszweck her vergleichbar sind, im Einzelfall also ersichtlich wird, dass bei den von diesen Bestimmungen erfassten Beschäftigten dauerhaft und regelmäßig Nachtarbeit anfällt.

6. Grundsätzlich kann die Arbeitgeberin wählen, ob sie den Ausgleichsanspruch des § 6 Abs. 5 ArbZG durch Zahlung von Geld, durch bezahlte Freistellung oder durch eine Kombination von beidem erfüllt; die gesetzlich begründete Wahlschuld (§ 262 BGB) konkretisiert sich auf eine der geschuldeten Leistungen erst dann, wenn die Schuldnerin das ihr zustehende Wahlrecht nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ausübt.

 

Normenkette

BGB §§ 262, 611 Abs. 1; ArbZG § 2 Abs. 3-4, 5 Nr. 2, § 6 Abs. 5

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 26.04.2012; Aktenzeichen 42 Ca 17814/11)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. April 2012 - 42 Ca 17814/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen gesetzlichen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit.

Die Beklagte ist ein hundertprozentiges Tochterunternehmen der DBA. GmbH. Sie erbringt Serviceleistungen für Zugreisende in den von ihrer Muttergesellschaft betriebenen Nachtreisezügen ("City Night Line") und Autozügen. Die Beklagte wurde im Mai 2001 gegründet und übernahm zum 1. Juli 2002 den Teilbetrieb Nachtreiseverkehr des Geschäftsbereichs Service im Zug (SiZ) der M. AG im Wege eines Betriebsübergangs. Derzeit unterhält die Beklagte vier Niederlassungen in Berlin, Dortmund, Hamburg und München. Sie beschäftigt ca. 45 Mitarbeiter im stationären Dienst sowie - saisonabhängig - ca. 500 Arbeitnehmer im Fahrdienst.

Der Kläger ist seit 05. Januar 1987 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin zuletzt als Servicechef mit Zugführerfunktion tätig. Auf den Arbeitsvertrag vom zweiten 20. Dezember 1986 sowie den Änderungsvertrag aus dem Jahre 2003 (Bl. 6, 7 der Akte) wird Bezug genommen. Im Änderungsvertrag aus dem Jahre 2003 ist bestimmt, dass der Kläger Vergütung nach TG 8 SiZ/Ost zzgl. Umsatzprovision erhält. Der Kläger ist Mitglied der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG)., die durch Fusion der Verkehrsgewerkschaft GDBA und der Gewerkschaft Transnet entstanden ist.

Die Beklagte und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) schlossen am 28. Juni 2002 eine beiderseits unterschriebene und als "Ergebnis der Verhandlungen zur Überleitung der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer/innen der M. AG SiZ Nachtverkehr zur DB ERS GmbH" bezeichnete Vereinbarung. Diese hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

"- Gültigkeit von Tarifverträgen

Für alle Mitarbeiter der M. AG, die zum 01. Juli 2002 oder später auf die DB ERS übergehen sowie die Mitarbeiter die bei der DB ERS beschäftigt sind, kommen ab dem 1. Juli 2002 die folgenden ...

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