Entscheidungsstichwort (Thema)
Zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff im Zivilprozess. Merkmale einer Klageänderung in der Berufungsinstanz. Klageerweiterung in der Berufungsinstanz. Erneute Kündigung nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach dem für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren geltenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den dort gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt. Der Streitgegenstand erfasst alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht unterbreitet hat.
2. Als Klageänderung i.S.d. § 533 ZPO in der Berufungsinstanz ist jede Änderung des bisherigen Streitgegenstands ebenso anzusehen wie die zusätzliche Geltendmachung eines neuen Streitgegenstands. Es geht nicht um eine Änderung des Klageantrages im Sinne des § 264 ZPO, sondern um die Erhebung neuer Ansprüche, wobei "neu" die Ansprüche sind, über die im angefochtenen Urteil nicht erkannt ist.
3. Eine Klageerweiterung in der Berufungsinstanz ist zulässig, wenn entweder der Gegner einwilligt oder das Gericht die Klageerweiterung für sachdienlich hält und diese auf Tatsachen gestützt ist, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin zugrunde zu legen hat.
4. Erhält der Arbeitnehmer eine erneute Kündigung nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils im Kündigungsschutzprozess und wehrt er sich in der Berufungsinstanz auch gegen diese neue Kündigung, handelt es sich um eine nicht sachdienliche Klageerweiterung, wenn es bei der Beurteilung der neuen Kündigung um zumindest teilweise andere Rechtsfragen geht als im erstinstanzlichen Verfahren bezüglich der ersten Kündigung. Die Klageerweiterung ist dann unzulässig.
Normenkette
ZPO §§ 533, 256, 263-264; KSchG §§ 4, 6 S. 1; BGB § 623; ArbGG § 64 Abs. 6 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 14.01.2019; Aktenzeichen 23 Ca 2454/18) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. Januar 2019 - 23 Ca 2454/18 - wird hinsichtlich der Anträge zu 2), 7) und 8) zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin zu 33 % und der Beklagte 67 % zu tragen; von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 68 % und der Beklagte 32 % zu tragen.
Die durch die Nebenintervention verursachten Kosten haben die Klägerin zu 14 % und der Nebenintervenient zu 86 % zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wesentlichen noch über die Wirksamkeit zweier Kündigungen aus den Jahren 2020 und 2021.
Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der A. Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden: Schuldnerin) mit Sitz in Berlin.
Bei der Schuldnerin handelte es sich bis Ende des Jahres 2017 um die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft, die unter ihrem Air Operator Certificate (AOC) Linien- und Charterflüge durchführte und mit Kurz- und Mittelstreckenmustern der Airbus 320-Familie sowie Langstreckenflugzeugen des Musters Airbus A330-200 hauptsächlich Ziele in Europa, Nordafrika, Israel Nord- und Mittelamerika bediente.
Die am .... 1970 geborene, verheiratete und für zwei Kinder unterhaltspflichtige Klägerin war auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages seit dem 1. September 1998 bei der Schuldnerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als Flugbegleiterin, zuletzt mit Stationierungsort Leipzig und mit der Zusatzfunktion Senior Cabin Crew Member B (SCCM B) auf den Mustern A 320/A 330 in Teilzeit zu einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt von 2.247,46 Euro, beschäftigt.
Mit Schreiben vom 27. Januar 2018, der Klägerin am 29. Januar 2018 zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30. April 2018, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin.
Mit Schreiben vom 27. August 2020, der Klägerin am 28. August 2020 zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30. November 2020, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin.
Mit Schreiben vom 28. Januar 2021, der Klägerin am 29. Januar 2021 zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30. April 2021, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin.
Mit der vorliegenden, am 15. Februar 2018 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen, dem Beklagten am 27. Februar 2018 zugestellten Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung gewendet, einen allgemeinen Feststellungsantrag angekündigt, ihre vorläufige Weiterbeschäftigung verlangt sowie hilfsweise einen Nachteilsausgleich, Wiedereinstellung und Auskunftserteilung begehrt.
Mit der Klageschrift hat die Klägerin sowohl dem Insolvenzverwalter als auch Rechtsanwalt Dr. K. - dem Generalbevollmächtigten und späteren Neb...