Entscheidungsstichwort (Thema)
Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch Darlegung ernsthafter Zweifel. Unbeachtlichkeit von Äußerungen zu möglichen späteren, krankheitsbedingt nicht zu leistenden Arbeiten
Leitsatz (amtlich)
1. Den §§ 5 Absatz 1, 7 Absatz 1 Nummer 1 EFZG ist die normative Wertung zu entnehmen, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das für den Arbeitnehmer grundsätzlich erforderliche, aber auch ausreichende Beweismittel für seinen Anspruch nach § 3 EFZG darstellt.
Das gilt nicht nur für den außerprozessualen Bereich, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber mit schlichtem Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit die Leistung verweigert und der Arbeitnehmer auf den Klageweg angewiesen ist.
Der Arbeitgeber muss deshalb im Rechtsstreit zusätzlich Umstände darlegen und beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an der behaupteten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit Anlass geben.
2. Arbeitsunfähig infolge Krankheit ist der Arbeitnehmer dann, wenn ein Krankheitsgeschehen ihn außer Stand setzt, die ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeit zu verrichten, oder wenn er die Arbeit nur unter der Gefahr fortsetzen könnte, in absehbar naher Zeit seinen Zustand zu verschlimmern.
Wenn sich ein Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber darauf beruft, aus gesundheitlichen Gründen im Dienstplan vorgesehene Nachtdienste nicht leisten zu können, stellt dies deshalb keinen den Beweiswert einer nachfolgenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschütternden Umstand dar, selbst wenn zum Zeitpunkt dieser Äußerung kein Nachtdienst zu leisten war.
Normenkette
EFZG §§ 3, 5, 7; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 11.06.2020; Aktenzeichen 2 Ca 112/20) |
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 11.06.2020 - 2 Ca 112/20 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der Kläger war bei dem Beklagten als Fahrer im Fahrdienst bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden und einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 1.056,88 Euro beschäftigt.
Der Kläger ging am 28.11.2019 zum Arzt und erhielt von diesem eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit ab dem 27.11.2019 bis zum 12.12.2019, die er dem Beklagten am 28.11.2019 übergab. Am 12.12.2019 übergab er dem Beklagten eine Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit bis zum 17.01.2020 und das "Attest für den Arbeitgeber" eines "FA für Praktischer Arzt-Hausarzt" vom 12.12.2019 (Anlage B 4, Blatt 57 der Akte). Auf Veranlassung des Beklagten erfolgte am 19.12.2019 eine Begutachtung des Klägers durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK), der sodann mit Schreiben vom 19.12.2019 eine "Sozialmedizinische Stellungnahme" abgab, wonach der Kläger auf Zeit weiter arbeitsunfähig sei und wegen deren Inhaltes im Übrigen auf die Anlage K 2 (Blatt 6 der Akte) verwiesen wird.
Der Beklagte zahlte an den Kläger ab Dezember 2019 keine Vergütung und erteilte für Dezember 2019 die Abrechnung laut Anlage K 4 (Blatt 8 der Akte).
Der Kläger hat mit der am 03.02.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage unter anderem Krankheitsentgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 01.12.2019 bis 08.01.2020 geltend gemacht und mehrere Ärzt*innen von ihrer Schweigepflicht entbunden.
Der Kläger hat nach Rücknahme weitergehender Klageanträge beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 1.329,62 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Klagezustellung zu zahlen.
Der Beklagte hat nach Rücknahme einer Widerklage beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat vorgetragen, der Kläger habe am 14.11.2019 vom Fahrdienstleiter erfahren, dass er im Dezember 2019 zu Nachtdiensten herangezogen werde. Der Kläger habe seine Verpflichtung, Nachtdienste leisten zu müssen, in Frage gestellt und sodann Ende November 2019 gegenüber dem Fahrdienstleiter erklärt, er werde keine Nachtdienste leisten. Am 15. und 18.11.2019 habe der Kläger zudem aus Anlass des Dienstplanes Kontakt mit dem Vorsitzenden der Mitarbeitervertretung (MAV) aufgenommen und diesem gegenüber am 22.11.2019 erklärt er könne aus gesundheitlichen Gründen nicht im Drei-Schicht-System in Nachtdiensten arbeiten. Der Kläger habe sich den Nachtdiensten durch die von ihm wohl zielgerichtet initiierten Krankschreibungen den Nachtdiensten entziehen wollen, da er diese einfach nicht habe leisten wollen. Die vom MDK angeführte Hypertonie habe nur dann zu einer Arbeitsunfähigkeit führen können, wenn eine Entgleisung vorgelegen habe, was jedoch nicht der Fall gewesen sei.
Mit Urteil vom 11.06.2020 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die zuletzt geltend gemachte Forderung stehe dem Kläger nach § 3 Absatz 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) zu. Der Kläger sei ab dem 28.11.2019 unverschuldet arbeitsunfähig krank ge...