Revision zugelassen

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellung der Rechtsunwirksamkeit einer mit Schreiben des Rates eines Stadtbezirkes von Berlin (Ost) der ehemaligen DDR vom 28. April 1987 wegen eines Ausreiseantrages ausgesprochenen Kündigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für eine nach dem 3. Oktober 1990 erhobene Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit einer im Jahre 1987 ausgesprochenen Kündigung einer Einrichtung der öffentlichen Verwaltung der ehemaligen DDR gegen das Land Berlin, auf das diese Einrichtungen gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 EinV übergegangen sind, ist gegeben.

2. § 60 AGB DDR a.F. steht der Geltendmachung der Rechtsunwirksamkeit einer rechtsstaatswidrigen Kündigung der Organe der ehemaligen DDR aufgrund des Rechtsstaatsprinzips der Bundesrepublik Deutschland ebensowenig entgegen wie die in Art. 17 EinV enthaltene Rehabilitierungsklausel.

3. Eine aus Anlaß eines 1987 gestellten Antrags auf Ausreise aus der ehemaligen DDR mit dem Ziel der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland ausgesprochene, auf andere, nur vorgeschobene Gründe gestützte Kündigung, verstößt gegen elementare rechtsstaatliche Grundsätze und ist als nichtig im Sinne von § 138 BGB anzusehen. Diese Vorschrift versagt Rechtsgeschäften, die gegen immanente rechtsethische Prinzipien der geltenden Rechtsordnung, insbesondere von Verfassungsrang, verstoßen, die rechtsstaatliche Anerkennung.

 

Normenkette

GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2, 5, 16, 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1, Art. 118 Abs. 1; EinV Art. 3, 13 Abs. 1 Sätze 1, 17; ArbGG § 2 Abs. 1 Nrn. 3a, 3b; ZPO § 255; AGB DDR a.F. § 60; KSchG §§ 4, 7, 13 Abs. 2 S. 1; BGB § 138

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage der Wirksamkeit einer mit Schreiben des ehemaligen Rates des Stadtbezirkes Berlin-… vom 18. Mai 1987 ausgesprochenen Kündigung sowie um Vergütungsansprüche der Klägerin für die Zeit vom 1. September 1987 bis zum 8. Juni 1989.

Die am 16. August 1957 geborene, verheiratete Klägerin war seit dem 1. August 1980 beim Rat des Stadtbezirkes Berlin-… Abt. Volksbildung als Diplom-Lehrerin für die Fächer Deutsch und Sport tätig. Sie erhielt zuletzt ein Bruttogehalt von ca. 1.200,– Mark der DDR.

Die Klägerin stellte am 28. April 1987 gemeinsam mit ihrem Ehemann sowie für die damals vier Jahre alte Tochter einen Antrag auf Entlassung der Staatsbürgerschaft der DDR zum Zwecke der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland. Daraufhin leitete der Rat des Stadtbezirkes Berlin-… gegen die Klägerin ein Disziplinarverfahren ein, aufgrund dessen der vorgenannte Rat das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin durch Schreiben vom 18. Mai 1987 kündigte. In dem Kündigungsschreiben heißt es:

„Betr.: Fristgemäße Kündigung

Werte Kollegin …!

Hiermit kündige ich fristgemäß Ihr mit dem Rat des Stadtbezirks Berlin-… Abt. Volksbildung, abgeschlossenes Arbeitsverhältnis mit Wirkung vom 1.9.87.

Begründung: Nichteinhaltung der Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte § 2 Abs. 1 vom 29.11.79.”

Die im Kündigungsschreiben vom 18. Mai 1987 zitierte Regelung in § 2 Abs. 1 der Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte lautet:

„Die wichtigste gesellschaftliche Aufgabe der Lehrkräfte, Erzieher und Leiter ist die Durchführung bzw. Leitung und Sicherung einer qualifizierten sozialistischen Bildungs- und Erziehungsarbeit zur allseitigen Entwicklung der geistigen und körperlichen Fähigkeiten der Kinder, Jugendlichen und Werktätigen sowie der Studenten der pädagogischen Ausbildungseinrichtungen zum Wohle des Volkes und der Nation.”

Die Begründung der Kündigung mit einem Verstoß gegen § 2 Abs. 1 der Arbeitsordnung für pädagogische Kräfte war vorgeschoben. Tatsächlicher Grund für die Kündigung war der Ausreiseantrag der Klägerin.

Für die Zeit vom 19. Mai 1987 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31. August 1987 entband der Rat des Stadtbezirkes Berlin-… Klägerin von ihrer Tätigkeit als Lehrerin. Sie wurde an einer anderen Stelle des Stadtbezirkes zu Reinigungs- und Küchenarbeiten eingesetzt. Bis zum Ablauf des Arbeitsverhältnisses erhielt die Klägerin ihre monatliche Vergütung. Seit dem 1. September 1987 war die Klägerin, die ihre Tätigkeit nach Ablauf der Kündigungsfrist vergeblich weiter angeboten hatte, arbeitslos. Auch ihre Bemühungen um eine anderweitige entgeltliche Beschäftigung blieben erfolglos.

Der Ehemann der Klägerin war zum Zeitpunkt des Ausreiseantrages beim Fernsehen der DDR im Archiv beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis wurde zum 20. September 1987 gekündigt. Er konnte ebenfalls nach Ablauf der Kündigungsfrist keinerlei neue entgeltliche Beschäftigung finden. Bis auf die Zahlung eines Betrages von 50,– Mark der DDR als Kindergeld erzielte die Familie der Klägerin keinerlei Einkommen. Bis zu ihrer Ausreise in die Bundesrepublik lebten die Klägerin und deren Familie von den Erlösen aus Buch- und Mobiliarverkäufen sowie aufgrund von Unterstützungen durch Freunde und Bekannte aus den alten Bundesländern. Am 8. Juni 1989 reiste die Klägerin mit ihrer Familie in die Bundesre...

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