Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachteilsausgleich. Stilllegung. Freistellung der Arbeitnehmer
Leitsatz (redaktionell)
Insolvenzspezifische Handlungen, wie z.B. die Freistellung der Arbeitnehmer durch den Insolvenzverwalter, die im Interesse des Erhalts der Insolvenzmasse bzw. im Interesse der betroffenen Mitarbeiter erfolgen, stellen keine interessenausgleichspflichtige Betriebsänderung dar.
Normenkette
BetrVG § 113
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 09.06.2004; Aktenzeichen 83 Ca 9201/04) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 9. Juni 2004 – 83 Ca 9201/04 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der seit dem 21. Mai 1984 bei der Insolvenzschuldnerin bei einem Stundenlohn von zuletzt 15,09 EUR brutto und einer monatlichen Arbeitszeit von 169 Stunden als Vorarbeiter beschäftigt gewesene Kläger macht gegenüber dem Beklagten, der am 11. Dezember 2003 als vorläufiger Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eingesetzt und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 30. Januar 2004 als Insolvenzverwalter bestellt worden war, Nachteilsausgleichsansprüche im Hinblick auf die am 18. März 2004 wegen Betriebsstilllegung mit Wirkung zum 30. Juni 2004 ausgesprochene Kündigung geltend.
Nach seiner Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter am 11. Dezember 2003 führte der Beklagte am 15. Dezember 2003 Gespräche mit dem Betriebsrat, in welchen diesem mitgeteilt wurde, dass beabsichtigt sei, eine Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes vorzunehmen, dass versucht werde, einen Betriebsübernehmer zu finden und dass ansonsten der Geschäftsbetrieb geschlossen werden müsse. Am 22. Dezember 2003 wurde dem Betriebsrat mitgeteilt, dass Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan geführt werden sollten. Zu dieser Thematik fand am 23. Januar 2004 eine Verhandlung statt. Am 27. Januar 2004 legte der (noch vorläufige) Insolvenzverwalter einen Entwurf vor, zu dem der Betriebsrat am 28. Januar 2004 eine Stellungnahme abgab. In Zusammenhang mit einer Betriebsversammlung am 30. Januar 2004, dem Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, zeigte der Beklagte Masseunzulänglichkeit an und stellte sämtliche Arbeitnehmer mit Ausnahme eines Abwicklungsteams von der Arbeitsleistung frei. Außerdem wurden vier Auszubildende mit Rücksicht auf die Fortsetzung der Ausbildung in einem neuen Ausbildungsverhältnis gekündigt. Zur Unterzeichnung eines Interessenausgleichs und Sozialplans kam es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Nachdem es zunächst zu Unstimmigkeiten über die Verhandlungen zum Interessenausgleich gekommen war, wurden diese am 3. Februar 2004 aufgenommen und schließlich am 18. März 2004 durch die Vereinbarung eines Interessenausgleichs und Sozialplans beendet. Zuvor, am 26. Februar 2004, hatte der Beklagte an eine Drittfirma den Auftrag zur Versteigerung des beweglichen Anlagevermögens erteilt; die Durchführung der Versteigerung erfolgte nach Ausspruch der Kündigungen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe eine Betriebsänderung (Betriebsstilllegung) durchgeführt, bevor der Interessenausgleich verhandelt und abgeschlossen worden sei. Die Durchführung der Stilllegung sei mit der Freistellung der Arbeitnehmer anzunehmen, darüber hinaus habe der Beklagte an eine Drittfirma den Versteigerungsauftrag für das bewegliche Vermögen erteilt und damit ebenfalls die Durchführung eingeleitet.
Der Kläger hat beantragt,
- den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger eine Abfindung nach § 113 Abs. 3 BetrVG i. V. m. § 10 KSchG zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, 47.700,00 EUR jedoch nicht unterschreiten sollte;
- hilfsweise festzustellen, dass dem Kläger ein Masseanspruch gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG i. V. m. § 10 KSchG als Abfindung zusteht, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werden, den unter Ziff. 1. benannten Betrag jedoch nicht unterschreiten sollte.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat den Hauptantrag als bereits unzulässig bezeichnet, während der Hilfsantrag unbegründet sei. Eine Stilllegung sei nämlich nicht vor Abschluss des Interessenausgleichs und Sozialplans begonnen worden.
Mit einem am 9. Juni 2004 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht Berlin – 83 Ca 9201/04 – die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 135 bis 137 d.A. verwiesen.
Gegen diese ihm am 19. August 2004 zugestellte Entscheidung hat der Kläger mit einem am 11. August 2004 beim Landesarbeitsgericht Berlin eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 10. September 2004 begründet.
Er hält die angefochtene Entscheidung für unzutreffend; denn die Betriebsstilllegung sei vor Ende der Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich begonnen worden. Der gesamte Verfahrensablauf zeige, dass eine Einigkeit über den Abschluss eines Interessenausgleichs noch nicht vorgelegen hätte, als mit der Freistellung der Arbeitnehmer die Durchführung der Betriebs...