Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit eines Zahlungsantrages bei Insolvenz. Freistellung als Betriebsstilllegung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Zahlungsantrag im Insolvenzfalle kann zulässig sein, wenn der Grund des Anspruches nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit liegt.
2. Im Insolvenzfalle ist die Freistellung der Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung dann nicht der Beginn der Betriebsstilllegung, wenn sie im Interesse der Insolvenzmasse erfolgt und durch die insolvenzspezifische Freistellung bewirkt werden soll, dass die Arbeitnehmer trotz Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld erhalten können.
Normenkette
BetrVG § 113; InsO §§ 208-210, 121 ff.
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 29.07.2004; Aktenzeichen 89 Ca 9206/04) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29. Juli 2004 – 89 Ca 9206/04 – wird auf seine Kosten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Hauptantrag als unbegründet abgewiesen ist.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger war bei der Schuldnerin als Vorarbeiter seit dem 16. September 1985 beschäftigt. Sein Bruttoarbeitslohn betrug zuletzt 15,09 Euro pro Stunde. Auf Antrag der Schuldnerin ist am 10. Dezember 2003 die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet worden, der Beklagte wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Am 15. Februar 2003 wurde in einer Besprechung zwischen Betriebsrat und Beklagtem der Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplanes angekündigt. Am 23. Januar 2004 fanden Verhandlungen zwischen dem Beklagten und dem Betriebsrat statt. Am 27. Januar 2004 wurde nach Erteilung weiterer Auskünfte der 30. Januar 2004 als Termin zum Abschluss eines Sozialplanes festgelegt. Am 30. Januar 2004 erfolgte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Im Zusammenhang mit einer Betriebsversammlung am 30. Januar 2004 zeigte der Beklagte die Masseunzulänglichkeit an, er stellte fast alle Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung frei. Ferner wurden vier Auszubildende mit Rücksicht auf die Fortsetzung ihrer Ausbildung in einem neuen Ausbildungsbetrieb gekündigt. Zur Unterzeichnung eines Interessenaugleichs und Sozialplanes kam es an diesem Tage nicht. Am 26. Februar 2004 erteilte der Beklagte an eine Drittfirma den Auftrag zur Versteigerung des beweglichen Anlagevermögens. Am 18. März 2004 kam es zur Unterzeichnung eines Interessenausgleichs und Sozialplanes durch den Betriebsrat und den Beklagten. Am selben Tage wurde allen Arbeitnehmern gekündigt, die Kündigung des Klägers erfolgte zum 30. Juni 2004, nachdem der Betriebsrat zur Kündigung angehört worden war. Am 1. April 2004 wurde das Anlagevermögen versteigert.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass der Beklagte zur Zahlung eines Nachteilsausgleichs gemäß § 113 BetrVG verpflichtet sei. Die Betriebsstilllegung sei bereits durch die Freistellung der Arbeitnehmer, die Kündigung der Ausbildungsverhältnisse und die Erteilung des Versteigerungsauftrages begonnen worden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Abfindung nach § 113 Abs. 3 BetrVG in Verbindung mit § 10 KSchG zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, 32.160,00 Euro jedoch nicht unterschreiten solle,
hilfsweise,
- festzustellen, dass ihm ein Masseanspruch gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG in Verbindung mit § 10 KSchG als Abfindung zustehe, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, den unter Antrag 1 genannten Betrag jedoch nicht unterschreiten solle.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, dass der Hauptantrag unzulässig sei, der Hilfsantrag sei unbegründet, da eine Stilllegung nicht vor Abschluss des Interessenausgleichs und Sozialplanes begonnen worden sei.
Durch Urteil vom 29. Juli 2004 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der Begründung wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils (Bl. 132 bis 138 d.A.) Bezug genommen.
Gegen dieses ihm am 18. August 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. September 2004 Berufung eingelegt, die er am 17. September 2004 begründet hat.
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die Betriebsstilllegung vor Ende der Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich begonnen habe. Aus dem gesamten Ablauf des Verfahrens ergebe sich, dass eine Einigkeit über den Abschluss eines Interessenausgleichs noch nicht vorgelegen habe, als mit der Freistellung der Arbeitnehmer die Durchführung der Betriebsstilllegung begonnen habe. Darin sei die Auflösung der Produktionsgemeinschaft zu sehen. Der Betriebszweck habe nicht mehr verfolgt werden können. Es seien vollendete Tatsachen geschaffen worden. Auch die Kündigung der Auszubildenden spreche hierfür. Ferner sei die Erteilung des Versteigerungsauftrages dahin zu werten, dass die Fortführung des Geschäftsbetriebes unmöglich geworden sei. Die gesamten Betriebsmittel seien zur Versteigerung vorgesehen gewesen. Der Betriebsrat habe keine Mögl...