Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialauswahl in einem Filialbetrieb
Leitsatz (amtlich)
Die soziale Auswahl im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG ist nach ständiger zutreffender Rechtsprechung des BAG auf den Betrieb bezogen. Die Befugnis des Inhabers des Unternehmens, jederzeit in die Einzelheiten der arbeitstechnischen Leitung einer Betriebsstätte einzugreifen, schließt allein die Annahme eines eigenständigen Betriebs nicht aus (gegen BAG 26.8.1971, EzA Nr. 1 zu § 23 KSchG). Maßgeblich ist vielmehr, wo der Kern der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung im Wesentlichen selbstständig ausgeübt wird (im Anschluss an BAG vom 3.6.2004 AP Nr. 33 zu § 23 KSchG). Dies setzt eine allgemeine Organisationsentscheidung und Funktionszuweisung des Arbeitgebers bezüglich der Kernbereiche der Arbeitgeberfunktionen voraus. Entscheidend ist dann nicht die Zuweisung von Funktionen und Befugnissen auf dem Papier, sondern deren tatsächliche Handhabung.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 12.08.2005; Aktenzeichen 28 Ca 10603/05) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.08.2005 – 28 Ca 10603/05 – wird – soweit der Rechtsstreit nicht durch übereinstimmende Erklärung beider Parteien für erledigt erklärt wurde – zurückgewiesen.
Die weiteren Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um die Wirksamkeit zweier betriebsbedingter Kündigungen sowie hilfsweise die Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites.
Die am … 1969 geborene Klägerin ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 15. Oktober 1990 als Verkäuferin/Kassiererin für ein Bruttomonatsentgelt von zuletzt 1.589,87 EUR in einem Verbrauchermarkt der Sparte „e.” in der Filiale Nr. 2934 in Alt-R. 64 – 66, 12355 Berlin beschäftigt.
Die Sparte „e.” bei der Beklagten ist bundesweit in drei Vertriebscenter untergliedert (Nord, Nord-West und West). An der Spitze der Vertriebscenter steht der Vertriebsleiter. Jedes Vertriebscenter ist in Bezirke untergliedert. Das Vertriebscenter Nord-West, welches vom Vertriebsleiter Herrn Sp. geleitet wird, gliedert sich in ursprünglich neun, nunmehr acht Bezirke (2001 bis 2005, 2007 bis 2009), die von Bezirksleitern geführt werden. Die Bezirke wiederum gliedern sich in die einzelnen „e.-Märkte”, die von Marktleitern geführt werden. Die Filiale 2934, in der die Klägerin zuletzt arbeitete, gehörte zum Bezirk 2007, der von der Bezirksleiterin Frau R. geleitet wird Wegen der Einzelheiten der Struktur wird auf die von der Beklagten als Anlage BK 1 eingereichte Übersicht der „e.-Vertriebsstruktur” Bl. 244 d.A., sowie die von der Klägerin als Anlage zum Schriftsatz vom 28.11.2005 eingereichte Aufgliederung Bl. 289 ff d.A. mit dem Stand 12.09.2005 verwiesen.
Neben dieser Struktur existieren im Vertriebscenter Nord-West zwei Personalabteilungen. Für die Bezirke 2007 bis 2009 ist der Personalleiter Herr Sch. zuständig, außerdem die Personalreferentin Frau St.. Die einzelnen Bezirke werden darüber hinaus von sogenannten „Merchandisern” (MD) beraten.
Dieser Vertriebsorganisation steht keine entsprechende Betriebsratsstruktur gegenüber. Bei der Beklagten sind für einzelne Märkte auch im Vertriebscenter Nord-West Betriebsräte nach § 1 BetrVG gebildet, z.B. in Bielefeld oder Braunschweig. Ansonsten sind Flächenbetriebsräte nach § 3 BetrVG gebildet. Deren Kompetenzen überschneiden sich mit den Aufgaben der Vertriebscenter. So ist der Betriebsrat Nord 3 für die Bezirke 2001 bis 2005 des Vertriebscenters Nord-West zuständig, darüber hinaus aber auch für den Bezirk 1006, der zum Vertriebscenter Nord gehört. Für den hier interessierenden Bezirk 2007 ist der nach § 3 BetrVG gewählte Betriebsrat Ost 1 zuständig.
Nach der von der Klägerin als Anlage 1 zum Schriftsatz vom 12. Juli 2005 eingereichten Aufgabenbeschreibung der Marktleitung vom 3.4.2000 (Anlage 1, Bl. 75 ff d.A. in Kopie) hat der Marktleiter folgende Aufgaben:
„1. Schwerpunkte
Die Schwerpunktaufgabe des Marktleiters ist die erfolgreiche Führung des Marktes durch das Erreichen der geplanten Ziele. Als wichtigste Instrumente dienen dem Marktleiter dazu:
- Planzahlen für Umsatz, Rohertrag, Personalkosten, Leistungskennziffern, Soll-/Ist-Vergleiche, Vorjahresvergleiche.
Der Marktleiter ist verpflichtet, mit diesen Zahlen zu arbeiten und Abweichungen zu kommentieren und zu begründen.
2. Unterstellung/Überstellung
Der Marktleiter ist unmittelbar dem Bezirksleiter Markt und dem Verkaufsleiter verantwortlich. Er ist fachlicher und disziplinarischer Vorgesetzter aller Mitarbeiter des Marktes.
3. Stellvertretung
Während der Abwesenheit des Marktleiters ist der stellvertretende Marktleiter/Assistent für die Führung des Marktes verantwortlich.
Dem Marktleiter obliegt die Schul...