Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt wird

 

Orientierungssatz

1. Anders als bei einer auf Auftragsmangel gestützten betriebsbedingten Kündigung bedarf es im Falle der Stillegung des Betriebes, wo feststeht, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt sämtliche Arbeitsplätze in Wegfall geraten, keiner substantiierten Darstellung der Entwicklung des Auftrages - und des daraus folgenden Beschäftigungsvolumens sowie der zur Abarbeitung desselben vorhandenen Arbeitnehmerstamms

2. Dies muß jedenfalls dann gelten, wenn zwischen dem Entschluß zur Stillegung des Betriebes bzw dem Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigungen und dem ins Auge gefaßten Endzeitpunkt der Stillegung nur eine Zeitspanne von 6 Monaten liegt, die sich aus den unterschiedlich langen Kündigungsfristen der Arbeitnehmer ergibt.

3. Es ist zu beachten, daß die Beurteilung des in Zukunft bzw zu einem konkretem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt noch vorhandenen Beschäftigungsvolumens einer Prognose bedarf, die ohnehin mit den jeder Prognose eigenen Unsicherheitsfaktoren belastet ist.

4. Es erscheint sachgerecht, an die Plausibilität einer diesbezüglichen Prognose im Falle der Betriebsstillegung geringere Anforderungen zu stellen, als im Falle einer Betriebseinschränkung.

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Aktenzeichen 82 Ca 21312/98)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17. November 1998 – 82 Ca 21312/98 – abgeändert:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die die Beklagte auf dringende betriebliche Erfordernisse stützt.

Der am 23. November 1963 geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 21. Oktober 1991 gegen ein monatliches Entgelt in Höhe von zuletzt ca. 4.500,– DM brutto als Baufacharbeiter beschäftigt. Die Beklagte ist ein Unternehmen des Baugewerbes und beschäftigte zuletzt 98 Arbeitnehmer. Sie gehört dem Unternehmensverbund der … Gruppe an.

Die Beklagte plante seit April 1998 die Aufgabe ihres operativen Geschäftes. Mit einem Schreiben vom 7. Mai 1998 (Bl. 38/40 d.A.) teilte die Beklagte dem Betriebsrat das Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen mit und faßte aus ihrer Sicht den bisherigen Verhandlungsstand zusammen. In der Sitzung vom 5. Juni 1998 der für die Interessenausgleichsverhandlungen gebildeten Einigungsstelle erklärten die Betriebsparteien die Interessenausgleichsverhandlungen für gescheitert. In dem über diese Sitzung gefertigten Ergebnisprotokoll vom 5. Juni 1998 (Bl. 43 d.A.) heißt es u. a. wie folgt:

„…. der Betriebsrat erklärt, daß er die Entscheidung des Arbeitgebers, den Betrieb zu Ende 1998 zu schließen, nicht mittragen könne; er sehe vielmehr Alternativen….”

Am selben Tage hielt die Geschäftsführung der Beklagten eine Sitzung ab und hielt das Ergebnis in einem Protokoll (Bl. 22/23 d.A.) fest. In diesem Protokoll heißt es u. a., daß jeglicher operativer Betrieb des Unternehmens vollständig und endgültig zum 31. Dezember 1998 eingestellt werde, der Stellenplan so schnell wie möglich reduziert werden solle und alle Arbeitnehmer zum frühestmöglichen Zeitpunkt gekündigt werden sollten.

Mit einem Schreiben vom 16. Juni 1998 (Bl. 24/25 d.A.) teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, daß sie beabsichtige, das Arbeitsverhältnis des Klägers ordentlich zum 31. August 1998 zu kündigen. Mit einem Schreiben vom 24. Juni 1998 (Bl. 26/28 d.A.) widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung.

Mit einem Schreiben vom 25. Juni 1998 (Bl. 3 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger. Auf eine von der Beklagten unter dem 24. Juni 1998 erstattete Massenentlassungsanzeige genehmigte die Bundesanstalt für Arbeit mit Bescheid vom 13. Juli 1999 die Entlassung von 55 Arbeitnehmern entsprechend einer Liste, in die auch der Kläger aufgenommen war.

Mit der am 10. Juli 1998 bei dem Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt und vorgetragen: Die Kündigung ließe sich schon deshalb nicht auf eine ernsthafte Stillegungsabsicht stützen, da für die Aufgabe des Betriebes ein Beschluß der Gesellschafter hätte gefaßt werden müssen. Der Betrieb sei auch nicht stillgelegt worden. Es treffe nicht zu, daß am 5. Juni 1998 im Anschluß an die Sitzung der Einigungsstelle eine Sitzung der Geschäftsführung stattgefunden habe und daß dort die von der Beklagten behauptete Entscheidung getroffen worden sei, jeglichen operativen Betrieb des Unternehmens vollständig und endgültig zum 31. Dezember 1998 einzustellen. Tatsächlich müsse die Beklagte auch über den 31. Dezember 1998 hinaus tätig sein, und zwar insbesondere im Bereich der Gewährleistungsarbeiten. Aufgrund des gegenseitigen Baufortschritts sei davon auszugehen, daß über den 31. Dezember 1998 hinaus Tätigkeiten auf den Baustellen Köpenick, … und … Tiefbau anfal...

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