Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Verfügung auf Entbindung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung
Leitsatz (amtlich)
Ein Widerspruch des Betriebsrats ist im Sinne von § 102 Abs. 5 Nr. 3 BetrVG offensichtlich unbegründet, wenn Auswahlrichtlinien im Sinne von § 95 BetrVG, auf deren Nichteinhaltung der Betriebsrat sich beruft, überhaupt nicht aufgestellt sind.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 5 Nr. 3, § 95
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 30.07.2003; Aktenzeichen 8 Ga 19484/03) |
Tenor
1. Unter Abänderung des Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 30. Juli 2003 – 8 Ga 19484/03 – wird die Verfügungsklägerin von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung der Verfügungsbeklagten nach Ablauf der Kündigungsfrist am 31. Juli 2003 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits entbunden.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Verfügungsbeklagte.
3. Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel der Parteien nicht gegeben, § 72 Abs. 4 ArbGG.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Entbindung der klagenden Arbeitgeberin von einer Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 Nr. 3 BetrVG im Wege der einstweiligen Verfügung.
Die Verfügungsklägerin beabsichtigte, einen größeren Kreis von Mitarbeitern betriebsbedingt zu kündigen. Hierzu wollte sie mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat Auswahlrichtlinien nach § 95 BetrVG vereinbaren und leitete dem Betriebsrat einen entsprechenden Entwurf zu. Dieser wurde vom Betriebsrat nicht unterschrieben. Mit Schreiben vom 17. April 2003 hörte die Verfügungsklägerin den Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung der verfügungsbeklagten Arbeitnehmerin an. Diesem Anhörungsschreiben war beigefügt eine „Übersicht Vergleichskreise und Qualifikationen”, in welchem die Verfügungsklägerin verschiedene Gruppen von Arbeitnehmern abstrakt definiert hatte, u.a. aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer Deutsch- oder Englischkenntnisse.
Ferner wurde dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung eine Zusammenstellung überreicht, aus der sich ergibt, dass die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte dem „Kreis 0” zuordnete und auf ihre Zuordnung zur „Liste b)” hinwies.
Daneben gibt es Arbeitnehmer, die den Listen a), c) bis f) und h) bis i) zugeordnet sind.
Mit dem der Verfügungsklägerin am 25. April 2003 zugegangenen Schreiben vom selben Tag widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung. In diesem Widerspruch heißt es u.a.:
„(…)
Der Betriebsrat widerspricht der Kündigung des Mitarbeiters gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG, da die Kündigung des Mitarbeiters gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt, indem für die Zuordnung des Mitarbeiters zu den Auswahlkreisen ausschließlich der berufliche Ausbildungsgrad entscheidend war. Hiermit werden im Laufe des beruflichen Lebens gesammelte Erfahrungen, insbesondere die bei S./I. gesammelten, ignoriert. Richtig ist vielmehr, dass der Mitarbeiter durch seine nachgewiesene Weiterbildung und Qualifikation in der Lage ist, einen Facharbeiterplatz mit hohen Fachanforderungen zu besetzen und ihn damit einem Arbeitnehmer mit der Fachausbildung Mechanik, Elektronik, mit spezifischer Berufserfahrung im Aufbau von Fiber Optik, Produkten oder der Wartung von Fiber Optik Maschinen gleichstellt.
Die entsprechenden Nachweise hierfür sind in der Personalabeilung oder beim Mitarbeiter einsehbar.
Anmerkung: Es gibt im Hause keine zwischen der Betriebsleitung FO Berlin und dem Betriebsrat abgestimmte Auswahlrichtlinie gemäß § 95 und es gibt auch hierzu keine Entscheidung einer Einigungsstelle. Der hiermit durch die Betriebsleitung vorgestellten Richtlinie wird vom Betriebsrat nicht zugestimmt.”
Bei den anderen Mitarbeitern widersprach der Betriebsrat ebenfalls, und zwar nach folgenden Gruppen mit folgenden Widerspruchsgründen:
Der Kündigung der in der Liste unter a) aufgeführten Arbeitnehmer widersprach der Betriebsrat nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG, da die Verfügungsklägerin bei der Auswahl des Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hätte.
Der Kündigung der in der Liste unter c) aufgeführten Arbeitnehmer widersprach der Betriebsrat nach § 102 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG und zusätzlich nach § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG, da fehlende Qualifikationen in einem zumutbaren Zeitraum erbracht werden könnten.
Gleiches gilt für die Widersprüche der unter d) aufgeführten Arbeitnehmer.
Der Kündigung der unter e) aufgeführten Arbeitnehmer widersprach der Betriebsrat nach § 102 Abs. 3 Nr. und § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG.
Der Kündigung der unter f) aufgeführten Arbeitnehmer wurde vom Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG widersprochen.
Der Kündigung der unter h) aufgeführten Arbeitnehmer widersprach der Betriebsrat nach § 102 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG und zusätzlich nach § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG. Endlich wurde vom Betriebsrat der Kündigung der unter i) aufgeführten Arbeitnehmer gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG widersprochen.
Mit Schreiben vom 14. Juli 2003 wandte sich die Verfügungsbeklagte an die Verfügungsklägerin und verlangte die tatsächliche Weiterbeschäftig...