Entscheidungsstichwort (Thema)
Gratifikation
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen für den Wegfall eines mittels Betriebsübung erworbenen Anspruchs auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation.
Normenkette
BGB § 157
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 19.04.2002; Aktenzeichen 83 Ca 4142/02) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19.04.2002 – 83 Ca 4142/02 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger Weihnachtsgeld für das Jahr 2001 in Höhe von 1.533,88 EUR brutto nebst Verzugszinsen zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte schulde das Weihnachtsgeld aufgrund betrieblicher Übung, weil sie es jedenfalls in den Jahren 1995 bis 1997 vorbehaltlos in Höhe von 3.000,– DM brutto gezahlt habe. Dass der Kläger seit Mai 1999 durchgehend arbeitsunfähig krank sei, stehe nicht entgegen. Die schlechte wirtschaftliche Situation des Betriebs lasse seinen Anspruch nicht automatisch entfallen.
Gegen dieses ihr am 7. Mai 2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 6. Juni 2002 eingelegte und zugleich begründete Berufung der Beklagten. Sie behauptet, regelmäßig Weihnachtsgeld nur an diejenigen Mitarbeiter gezahlt zu haben, die zum Auszahlungszeitpunkt auch tatsächlich im Unternehmen tätig gewesen seien. Das Arbeitsverhältnis zum Kläger sei lediglich noch formaler Natur, da er seit langem ausgesteuert und nicht mehr im Unternehmen tätig sei. Zudem sei die Weihnachtsgratifikation aufgrund der schlechten Auftragslage im Baugewerbe seit mindestens zwei Jahren bei allen Mitarbeitern abgeschafft worden, weshalb es keine betriebliche Übung mehr gebe.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er tritt den Angriffen der Beklagten entgegen und verweist darauf, im November 2000 gearbeitet zu haben, und behauptet, erst aufgrund eines erneuten Arbeitsunfalls wieder arbeitsunfähig krank geworden zu sein. Inzwischen habe er seine Arbeit wieder aufgenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2001 in Höhe von 1.533,88 EUR.
1.1 Selbst wenn die Beklagte seit mehr als zwei Jahren an die Kollegen des Klägers kein Weihnachtsgeld mehr gezahlt haben sollte, könnte dies seinen Anspruch nicht berühren. Der Wegfall der Betriebsüblichkeit einer Leistung, auf deren Erbringung ein Anspruch besteht, kann sich nur gegenüber den Arbeitnehmern auswirken, die ihn widerspruchslos hingenommen haben (dazu BAG, Urteil vom 26.03.1997 – 10 AZR 612/96 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 50 zu II 3 b der Gründe). Dies war indessen beim Kläger gerade nicht der Fall.
1.2 Dass der Kläger seit Mai 1999 bis ins Jahr 2002 fast durchgehend arbeitsunfähig krank gewesen ist, war ebenfalls unschädlich. Soweit die Beklagte behauptet hat, die Gratifikation stets nur an tätige Arbeitnehmer gezahlt zu haben, hat sie damit nicht für den Kläger deutlich gemacht, dass die Leistung unter einem entsprechenden Vorbehalt hatte stehen sollen. Weder hat sie dies ausdrücklich erklärt, noch hat sie vorgetragen, dass es in den Vorjahren überhaupt zur Versagung von Weihnachtsgeld wegen langdauernder Erkrankung einzelner Arbeitnehmer gekommen war.
1.3 Die lang dauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers hat auch nicht dazu geführt, dass sein Arbeitsverhältnis zur Beklagten nur noch formaler Natur war. Dazu hätte sich der Kläger nach Aussteuerung durch die Krankenkasse arbeitslos melden und die Zahlung von Arbeitslosengeld beantragen und die Beklagte auf Antrage des Arbeitsamtes auf ihr Weisungsrecht gegenüber dem Kläger verzichten müssen (zu dieser Anforderung BAG, Urteil vom 11.02.1998 – 10 AZR 264/97 – BB 1998, 2367 zu II 2 der Gründe). Dazu ist es jedoch nicht gekommen.
1.4 Da mit einer Gratifikation erbrachte Betriebstreue honoriert werden soll, ist für eine ergänzende Vertragsauslegung gemäß § 157 BGB kein Raum, wonach für den Gratifikationsanspruch auf jeden Fall eine nicht ganz unerhebliche Arbeitsleistung Voraussetzung sein soll (BAG, Urteil vom 05.08.1992 – 10 AZR 88/90 – BAGE 71, 98 = AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 143 zu II 2 der Gründe).
1.5 Die schlechte wirtschaftliche Lage des Unternehmens kann allenfalls im Extremfall drohender Zahlungsunfähigkeit dem Arbeitgeber ein Widerrufsrecht aufgrund ergänzender Vertragsauslegung geben oder wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 242 BGB oder nunmehr § 313 BGB 2002 zu einer Vertragsanpassung führen, wenn dadurch die Arbeitsplätze der Kollegen zumindest noch eine gewisse Zeit erhalten werden können (vgl. BAG, Urteil vom 18.12.1964 – 5 AZR 262/64 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. ...