Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung einer tariflich geregelten ordentlichen Kündigungsfrist. Zulassung der Revision in den Entscheidungsgründen
Leitsatz (amtlich)
1. Die maßgebliche Kündigungsfrist bestimmt sich wegen des rein deklaratorischen Charakters der Vorschrift der Ziffer 9.8.2 MTV für die Angestellten in der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg (Tarifgebiet II) vom 10.3.91 nach Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung des § 622 BGB gemäß Art. 1 des Kündigungsfristengesetzes (juris.:KündFG) vom 7.10.93 ausschließlich nach den darin festgelegten Kündigungsfristen (wie LAG Berlin, Urteil vom 26.7.94 – 12 Sa 67/94).
2. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Zulassung der Revision im Falle einer versehentlich insoweit nicht verkündeten Entscheidung des LAG auch in den Entscheidungsgründen des Urteils möglich.
Normenkette
BGB § 622; BGB-DDR § 55; BGB §§ 615, 293 f.; ArbGG §§ 72, 72a; ZPO § 319
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 02.06.1994; Aktenzeichen 61 Ca 12349/94) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 02. Juni 1994 – 61 Ca 12349/94 – wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.221,89 DM brutto (sechzehntausendzweihunderteinundzwanzig 89/100) abzüglich 5.544,– DM netto (fünftausendfünfhundertvierundvierzig) nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 01. Oktober 1994 zu zahlen.
III. Die Kosten zweiter Instanz trägt die Beklagte.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Länge der von der Beklagten einzuhaltenden ordentlichen, tariflichen Kündigungsfrist.
Die am 18. Januar 1949 geborene Klägerin war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 9. März 1977 beschäftigt; sie war für die Beklagte im Angestelltenverhältnis tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die Bestimmungen des Manteltarifvertrags für die Angestellten der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg Tarifgebiet II vom 10. März 1991 (im folgenden abgekürzt: MTV Tarifgebiet II) Anwendung.
Unter dem 26. März 1994 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin „unter Einhaltung der geltenden tarifvertraglichen Kündigungsfrist” zum 31. Mai 1994.
Die Klägerin bezog in der Zeit vom 1. Juni bis zum 14. September 1994 Arbeitslosengeld in Höhe von insgesamt 4.804,80 DM und erhielt für die Zeit vom 15. September bis zum 30. September 1994 ein Unterhaltsgeld in Höhe von 739,20 DM.
Die Klägerin hat den Standpunkt vertreten, daß in ihrem Falle nach der maßgeblichen tariflichen Regelung die Kündigungsfrist gemäß der neuen Fassung des § 622 BGB zu bemessen sei, was bedeute, daß der richtige Kündigungstermin nicht der 31. Mai 1994, sondern erst der 30. September 1994 in ihrem Falle sei.
Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes erster Instanz wird unter Bezugnahme auf § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Mit einem am 2. Juni 1994 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht der Klage mit dem Antrag,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 26. März 1994 nicht zum 31. Mai 1994, sondern erst zum 30. September 1994 aufgelöst wird,
stattgegeben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Es komme im Streitfall die Neufassung des § 622 BGB zum Zuge, da die Vorschriften zu Ziffer 9.8 MTV Tarifgebiet II nicht eigenständig die Kündigungsfristen im Tarifgebiet regelten. Die wörtliche Wiedergabe der zur Zeit des Tarifvertragsabschlusses geltenden gesetzlichen Regelung spreche dafür, daß die tarifliche Regelung nicht konstitutiv und nicht Ausdruck eines eigenen Normsetzungswillens der Tarifvertragsparteien sei. Dem stehe nicht entgegen, daß in den tariflichen Vorschriften darauf verwiesen werde, daß der wiedergegebene Text den geltenden gesetzlichen Regelungen entspreche, da damit dem Wortsinn nach nicht eindeutig auf eine Eigenständigkeit der tariflichen Regelung geschlossen werden könne und sich auch die Auskünfte der Tarifvertragsparteien, die in einem Parallelverfahren eingeholt worden seien, in diesem Punkt widersprächen. Ein anderes Ergebnis lasse sich auch aus dem in Ziffer 9.8.4 MTV Tarifgebiet II vereinbarten „Übernahmeautomatismus” nicht folgern. Daraus ergebe sich nur der Wille der Tarifvertragsparteien, daß bis zu einer tariflichen Neuregelung in beiden Tarifgebieten unterschiedliche Kündigungsfristenregelungen gelten sollten. Zwar hätten die Tarifvertragsparteien die Tarifgefüge beider Tarifgebiete soweit wie möglich angleichen wollen, hätten aber hinsichtlich der Kündigungsfristen wegen der von ihnen erkannten Gleichheitsproblematik hinsichtlich unterschiedlicher Fristen für Arbeiter und Angestellte keine Rechtsunsicherheit erzeugen wollen, so daß sich die Verweisung auf die insoweit unbelastete Regelung des § 55 AGB-DDR angeboten habe; daraus folge, daß die tarifliche Regelung keiner gesetzlichen Neuregelung habe im Wege stehen sollen, die das Kündigungsfristenrecht im Hinblick auf die Entscheidung des...