Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsausschluß. Teilnahme am allgemeinen Verkehr. betriebliche Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Verletzt ein Arbeitnehmer seinen Kollegen beim gemeinsamen Aufbruch von einer Baustelle zu einer auswärtigen Unterkunft, so stellt dies für den Schädiger noch eine betriebliche Tätigkeit dar, und ist der Arbeitsunfall nicht bei Teilnahme am allgemeiner Verkehr eingetreten.
Normenkette
RVO § 636 Abs. 1 S. 1, § 637 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 07.01.1998; Aktenzeichen 11 Ca 18681/97) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 7. Januar 1998 – 11 Ca 18681/97 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Am 31. Oktober 1995 wurde der Kläger schwer verletzt, als er bei Arbeitsende auf einer Baustelle bei N. an den Sprossen eines Lastenaufzugs hinunterstieg und dieser vom Beklagten zu 1), seinem Vorarbeiter, mit einem bei der Beklagten zu 2) versicherten Transportfahrzeug gerammt wurde.
Der Kläger verlangt Ersatz seines Verdienstausfalls für die Zeit vom 13. Dezember 1996 bis 31. August 1997 und etwaiger künftiger materieller Schäden sowie Schmerzensgeld in Höhe von ca. 150.000,– DM.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Haftung des Beklagten zu 1) sei gemäß §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen. Es habe sich unstreitig um einen Arbeitsunfall gehandelt. Diesen Unfall habe der Beklagte zu. 1) durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht, weil er den Lkw im Rahmen eines Werkverkehrs bewegt habe, um den Kläger und dessen Kollegen zur Gemeinschaftsunterkunft zu bringen. Dabei könne dahinstehen, ob der Beklagte zu 1) den Lkw willentlich in Bewegung gesetzt habe oder vom Kupplungspedal abgerutscht sei. Daß der Beklagte zu 1) den Unfall vorsätzlich herbeigeführt habe, sei nicht ersichtlich. Schließlich sei der Unfall auch nicht bei Teilnahme am allgemeinen Verkehr eingetreten, weil der Kläger sich wegen der bevorstehenden Beförderung noch in dem Gefahrenbereich befunden habe, in dem er durch seine Betriebszugehörigkeit betroffen gewesen sei. Aufgrund dieses Haftungsausschlusses könne der Kläger auch nicht die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer in Anspruch nehmen.
Gegen dieses ihm am 17. Februar 1998 zugestellte Urteil richtet sich die am 16. März 1998 eingelegte und am 29. April 1998 nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 30. April 1998 begründete Berufung des Klägers. Er behauptet, der Beklagte zu 1) habe mit ihm und seinen Kollegen auf dem Weg zur Unterkunft noch in N. zum Einkaufen fahren wollen. Als er auf die Aufforderung des Beklagten zu 1) hin etwa zwei bis drei Meter an dem Lastenaufzug hinuntergestiegen sei, habe der Motor aufgeheult und sich der Lichtschein des Fahrzeugs geändert. Ein Kollege habe noch geschrien: „Halt an, steh!” Ca. ein bis zwei Sekunden später habe der Beklagte zu 1) jedoch den Aufzug gerammt, wodurch er aus sieben bis acht Meter Höhe abgestürzt sei.
Der Kläger ist der Ansicht, daß es sich um eine Privatfahrt des Beklagten zu 1) gehandelt habe, die vom Arbeitgeber nicht angeordnet oder betrieblich veranlaßt gewesen sei. Es sei ihm und seinem Kollegen freigestellt gewesen, ob sie mit dem Firmenwagen hätten mitfahren wollen. Auch habe der Arbeitgeber geduldet, daß das Fahrzeug von jemand anderem als dem Beklagten zu 1) geführt worden sei. Es habe deshalb kein oder nur ein loser betrieblicher Zusammenhang bestanden. Der Beklagte zu 1) habe das Fahrzeug nicht versehentlich, sondern zielgerichtet gestartet, um loszufahren. Er habe dann wohl später zusteigen sollen. Auch habe sich der Unfall auf einem allgemein zugänglichen Gelände ereignet, weil die Tore der Lagerhalle, an deren Instandsetzung man gearbeitet habe, und das Tor zum Gelände stets offengestanden hätten.
Der Kläger beantragt,
- an ihn 25.535,76 DM nebst 4 % Zinsen von 9.101,92 DM seit dem 20.01.1997, von 6.681,11 DM seit dem 24.02.1997 und von 9.752,73 DM seit dem 08.09.1997 zu zahlen.
- an ihn ein in das Ermessen des Gerichts zu stellendes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 20.01.1997 zu zahlen,
- festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihm denjenigen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm infolge des Vorfalls vom 31.10.1995 noch entstehen werde.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil und bestreiten anders als noch in der Vorinstanz, daß der Beklagte zu 1) den Kläger durch Zuruf aufgefordert habe, am Lastenaufzug hinabzusteigen. Der Beklagte zu 1) habe lediglich Licht für seine Kollegen gemacht und den Motor gestartet, weil die Scheiben des Fahrzeugs beschlagen seien. Dabei sei er aufgrund feuchter Schuhsohlen von der Kupplung abgerutscht.
Entscheidungsgründe
1. Die fristgemäß und formgerecht eingelegte Berufung ist innerhalb der gemäß § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG verlängerten Begründungsfrist auch ordnungsgemäß begründet worden.
2. Die Berufung ist sachlich u...