Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Vorrang der Änderungskündigung vor der Beendigungskündigung
Leitsatz (amtlich)
1. Trifft der Arbeitgeber die Entscheidung, statt einer Teilzeitkraft wegen der Ausdehnung des Beschäftigungsvolumens eine Vollzeitkraft einzusetzen, hat er der bislang beschäftigten Teilzeitkraft zunächst eine Vertragsänderung zur Ausdehnung der Arbeitszeit anzubieten.
2. Ohne ein solches Änderungsangebot ist die gegenüber der Teilzeitkraft ausgesprochene Kündigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sozialwidrig, es sei denn, es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Teilzeitkraft dieses Änderungsangebot auch unter dem Druck der bevorstehenden Kündigung nicht angenommen hätte.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2, § 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 09.05.1996; Aktenzeichen 56 Ca 7295/96) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 9. Mai 1996 – 56 Ca 7295/96 – geändert:
- Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. März 1996 wird aufrechterhalten.
- Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die Kündigung vom 12. April 1996 aufgelöst worden ist.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer am 27. Februar 1996 mit Wirkung zum 31. März 1996 und einer weiteren am 12. April zum 31. Mai 1996 hilfsweise ausgesprochenen Kündigung, die von der Beklagten jeweils auf betriebsbedingte Gründe gestützt werden. Diesem Streit liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin, eine alleinerziehende Mutter von zwei 1983 und 1989 geborenen Kindern, wurde von der Beklagten mit Wirkung ab 1. März 1995 als Sekretärin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Stunden und einem monatlichen Gehalt von 2.800,– DM brutto eingestellt. Zu dieser Einstellung war es gekommen, weil die seinerzeit mit der Geschäftsführerin der Beklagten und deren ebenfalls im Betrieb der Beklagten tätigen Ehemann befreundete Klägerin von diesen gebeten worden war, ihr bisheriges Arbeitsverhältnis aufzugeben und eine Tätigkeit bei der Beklagten aufzunehmen.
Als einzige Bürokraft erledigte die Klägerin Sekretariatsarbeiten, versah den Telefondienst und erledigte – mit Unterstützung eines Steuerbüros, deren Ausmaß zwischen den Parteien streitig ist – Lohnabrechnungsarbeiten, deren Umfang und Qualität ebenfalls zwischen den Parteien streitig ist. Die Klägerin war montags bis freitags jeweils von 8.00 bis 13.00 Uhr im Büro der Beklagten tätig.
Im Februar 1996 entschloß sich die Beklagte endgültig, die anfallenden Büroarbeiten einschließlich des Telefondienstes durch eine Vollzeitkraft erledigen zu lassen. Dementsprechend stellte sie mit Wirkung ab 29. Februar 1996 Frau M. K. ein, die nunmehr Montag bis Donnerstag von 7.00 bis 16.00 Uhr und Freitag von 7.00 bis 15.00 Uhr tätig wurde. Zeitgleich mit dieser Einstellung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit einer dieser am 28. Februar 1996 zugegangenen Kündigung vom 27. Februar 1996 und stellte die Klägerin gleichzeitig von ihrer Arbeit frei.
Mit einem Schreiben vom 12. April 1996 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin vorsorglich nochmals zum 31. Mai 1996.
Von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes erster Instanz wird unter Hinweis auf § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Durch ein Urteil vom 9. Mai 1996 hat das Arbeitsgericht Berlin die von der Klägerin erhobene Kündigungsschutzklage unter Aufhebung eines zunächst gegen die Beklagte ergangenen Versäumnisurteils vom 26. März 1996 abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses der Klägerin am 4. Juni 1996 zugestellte Urteil hat sie mit einem am 2. Juli 1996 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 2. August 1996 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Klägerin tritt dem angefochtenen Urteil zunächst mit Rechtsausführungen entgegen und vertritt insbesondere die Auffassung, ihr hätte zunächst das Angebot unterbreitet werden müssen, als Volltagskraft tätig zu sein. Unter dem Druck der ansonsten drohenden Arbeitslosigkeit hätte sie dieses Angebot angenommen.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und
- das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. März 1996 aufrechtzuerhalten und
festzustellen,
daß das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die Kündigung vom 12. April 1996 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie tritt der Berufung mit Rechtsausführungen entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
Im übrigen stellt die Beklagte folgende Behauptungen auf:
1. Im Hinblick auf die Einstellung eines neuen Bauleiters im Januar 1996 und die gestiegene Anzahl der Arbeitnehmer hätten sich die Arbeiten der Lohnbuchhaltung so erhöht, daß nunmehr eine Vollzeitkraft habe besch...