Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Leitsatz (amtlich)
1. § 16 Nr. 1 enthält eine gegenüber künftigen gesetzlichen Änderungen bestandskräftige Tarifregelung.
2. § 16 Nr. 1 MTV stellt eine eigenständige Regelung dar, mit der die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages bestehende gesetzliche Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers auf Tarifniveau abgesichert worden ist.
Normenkette
EFZG § 4 Abs. 1 S. 1; Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer im Hotel- und Gaststättengewerbe vom 31.03.1995 (MTV) § 16
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 08.10.1997; Aktenzeichen 43 Ca 12914/97) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Oktober 1997 – 43 Ca 12914/97 – abgeändert:
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 175,– DM brutto (einhundertfünfundsiebzig) nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 18.04.1997 zu zahlen.
- Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zusteht, der der Höhe nach über die seit dem 1. Oktober 1996 geltende gesetzliche Neuregelung des § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG hinausgeht.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 1. August 1992 als Reservierungsleiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer im Hotel- und Gaststättengewerbe in Berlin vom 31. März 1995 (MTV) Anwendung. In der Zeit vom 13.–19. Februar 1997 war die Klägerin arbeitsunfähig krank geschrieben. Die Beklagte gewährte der Klägerin Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, kürzte die Leistung jedoch von 100 auf 80%. Die Differenz entspricht 125,– DM brutto.
Mit der am 2. April 1997 bei dem Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage verlangte die Klägerin insoweit zunächst die Zahlung von 175,– DM brutto und reduzierte dann mit ihrem Schriftsatz vom 11. April 1997 die Klageforderung auf 125,– DM brutto. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, daß die Beklagte ihr gemäß § 16 Nr. 1 MTV die Fortzahlung des Entgeltes in vollem Umfang schulde, da es sich bei dieser Bestimmung um eine eigenständige staatische Regelung handele, was durch die Regelungen in § 16 Nr. 4 und Nr. 5 MTV gestützt werde. Dort werde auf die Berechnung der Lohnfortzahlung Bezug genommen; ferner sei ein Zuschuß zum Krankengeld bis zur Höhe des Nettoentgeltes garantiert. Die Änderung des Entgeltfortzahlungsgesetzes habe daher auf ihren Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall keinen Einfluß gehabt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 125,– DM brutto nebst 4% Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 17. April 1997 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Tarifvertrag enthalte eine dynamische Verweisung auf die jeweils geltende Fassung des Entgeltfortzahlungsgesetzes. Etwas anderes könne auch nicht aus § 16 Nr. 4 und Nr. 5 MTV hergeleitet werden. In § 16 Nr. 4 MTV werde lediglich klargestellt, von welcher Berechnungsgrundlage bei prozentual am Umsatz beteiligten Arbeitnehmern auszugehen sei. Gemäß § 16 Nr. 5 MTV werde ein Zuschuß zum Krankengeld an die Arbeitnehmer gezahlt, die unverschuldet einen Arbeitsunfall erlitten hätten und infolge des Unfalls an der Arbeitsleistung gehindert seien. Der Unterschied zwischen der gesetzlichen und der tarifvertraglichen Regelung bestehe lediglich darin, daß das Gesetz einem durch Arbeitsunfall an seiner Arbeitsleistung gehinderten Arbeitnehmer diesen Anspruch bis zu sechs, der MTV aber bis zu acht Wochen zubillige.
Von einer weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird unter Bezugnahme auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 27/28 d.A.) sowie auf die erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst den jeweiligen Anlagen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO abgesehen.
Durch ein Urteil vom 8. Oktober 1997 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 28–31 d.A.) verwiesen.
Gegen dieses ihr am 27. Oktober 1997 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 27. November 1997 bei dem Landesarbeitsgericht Berlin eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 18. Dezember 1997 bei dem Landesarbeitsgericht Berlin eingegangenem Schriftsatz begründet.
Die Klägerin tritt dem Urteil mit Rechtsausführungen entgegen, nimmt auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug und führt aus: Zwar sei einzuräumen, daß im Tarifvertrag selbst nicht ausdrücklich formuliert sei, daß der Arbeitnehmer Anspruch auf 100% Lohnfortzahlung habe, doch habe dies bis zum 30. September 1996 der Gesetzeslage entsprochen. Der Gesetzgeber habe es bei der gesetzlichen Neuregelung vermieden, unmittelbar in Tarifverträge durch Ausgestaltung der Neu...