rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit während eines Arbeitskampfes
Leitsatz (amtlich)
1. Arbeitnehmer, die zu Beginn eines Streiks bereits arbeitsunfähig krank waren, die aber im Falle der Arbeitsfähigkeit an ihm teilgenommen hätten, sind wie streikbeteiligte Arbeitnehmer zu behandeln.
2. Ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer hat daher keinen Lohnfortzahlungsanspruch, wenn er unabhängig von der Erkrankung wegen seiner Streikteilnahme nicht gearbeitet hätte.
3. Im Streitfall hat der Arbeitgeber zu beweisen, daß sich der vor Streikbeginn erkrankte Arbeitnehmer ohne die Erkrankung am Arbeitskampf beteiligt hätte. Dabei kann dem Arbeitgeber – wie jeder beweisbelasteten Partei – der Anscheinsbeweis zugute kommen.
4. Beteiligt sich eine der streikführenden Gewerkschaft angehörende Arbeitnehmerin (Erzieherin) unmittelbar im Anschluß an die Arbeitsunfähigkeit aktiv an den Streikmaßnahmen, so läßt dies mangels Darlegung gegenteiliger Anhaltspunkte durch die Arbeitnehmerin den Schluß zu, daß sie, wäre sie nicht arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen, von Anfang an an den Arbeitskampfmaßnahmen teilgenommen hätte.
Normenkette
GG Art. 9; LFZG § 1 f.; BGB §§ 616, 812; BAT § 37
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 12.07.1990; Aktenzeichen 20 Ca 54/90) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. Juli 1990 – 20 Ca 54/90 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die der Gewerkschaft ÖTV angehörende Klägerin nimmt das beklagte Land auf Zahlung von Vergütung während eines von der ÖTV getragenen Streiks von Erzieherinnen und Beziehern der Berliner Kindertagesstätten in Anspruch.
Die Klägerin steht seit dem 01. April 1980 unter Einreibung in die Vergütungsgruppe VI b BAT bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,5 Stunden gegen ein monatliches Bruttogehalt von 1.708,07 DM als Erzieherin im Bereich des Bezirksamtes Zehlendorf von Berlin in einem Arbeitsverhältnis zu dem beklagten Land. Die Kindertagesstätten im Bezirk … wurden vom 13. bis zum 15. Dezember 1989 bestreikt. Die Klägerin war vom 12. Dezember bis zum 15. Dezember 1989 einschließlich arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Kindertagesstätten des Landes wurden vom 15. Januar bis zum 27. März 1990 aufgrund einer von der streikführenden ÖTV ausgerufenen Arbeitskampfmaßnahme bestreikt. Die Klägerin war vom Dienstag, dem 09. Januar bis zum Freitag, dem 26. Januar 1990 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Sie nahm ab Montag, dem 29. Januar 1990 aktiv an den Streikmaßnahmen der Erzieherinnen und Erzieher teil. Während der gesamten Dauer des Arbeitskampfes hielt das beklagte Land in einigen Kindertagesstätten des Bezirkes … den Betrieb aufrecht. Mit Schreiben vom 07. März und 02. April 1990 teilte das beklagte Land der Klägerin mit, daß sie für die Dauer der Streikmaßnahme keinen Anspruch auf Vergütung hätte, das anteilige Januar- sowie das Februargehalt in voller Höhe zurückzuzahlen sei und behielt einen Teil der der Klägerin für den Monat April 1990 zustehenden Vergütung ein.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, daß das beklagte Land nicht zur Aufrechnung berechtigt und dementsprechend verpflichtet sei, auch den einbehaltenen auf die Zeit ihrer Arbeitsunfähigkeit entfallenden Vergütungsanteil von 787,19 DM brutto an sie zu entrichten, da sie sich während ihrer Erkrankung nicht aktiv am Streik beteiligt und auch keine Willensentscheidung für eine alternative Teilnahme daran getroffen habe.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 787,19 DM brutto zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Klage für unbegründet gehalten, da aus der an die Beendigung der Arbeitsunfähigkeit unmittelbar anschließenden Streikbeteiligung der Klägerin und dem Grundsatz der gewerkschaftlichen Solidarität die von der Klägerin nicht durch substantiierten Sachvortrag widerlegte Vermutung abzuleiten sei, daß sie von Anfang an streikwillig gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie der überreichten Anlagen Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Berlin hat durch Urteil von 12. Juli 1990 die Klage abgewiesen, den Wert des Streitgegenstandes auf 787,19 DM festgesetzt und die Berufung gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG zugelassen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt: Die Klage sei unbegründet, da ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Vergütung infolge der vom Beklagten erklärten Aufrechnung mit einem Anspruch auf Rückzahlung unberechtigt erhaltener Krankenvergütung für die Zeit vom 15. bis zum 28. Januar 1990 erloschen sei. Der Klägerin habe für die Dauer ihrer während des Arbeitskampfes bestehenden Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Gehaltsfortzahlung nicht zugestanden. Der Arbeitnehmerin stehe ein Anspruch auf die Vergütung im Krankheitsfalle nur dann zu, wenn die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache der Arbeitsverhinderung sei. Dies sei im Streitfall der Klägerin a...