Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung. Gesundheitliche Einschränkungen
Leitsatz (amtlich)
1. Es ist mit § 4 Satz 1 KSchG vereinbar und erscheint bei einer während des Rechtsstreits wiederholten Kündigung aus gesundheitlichen Gründen auch gemäß §§ 263, 523 ZPO sachdienlich, Kündigungsschutz im Wege einer Anschlußberufung gemäß § 521 Abs. 1 ZPO nachzusuchen.
2. Einem Arbeitnehmer, der aus gesundheitlichen Gründen auch nach Umverteilung der Arbeit dauerhaft nur fünf Stunden arbeitstäglich beschäftigt werden kann, eine Teilzeitbeschäftigung jedoch ablehnt, kann personenbedingt ordentlich gekündigt werden.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 11.12.1996; Aktenzeichen 47 Ca 26869/96) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. Dezember 1996 – 47 Ca 26869/96 – und die Anschlußberufung des Klägers werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufungsinstanz werden gegeneinander aufgehoben.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der am 19. August 1937 geborene Kläger stand seit dem 2. August 1971 in den Diensten der Beklagten. Arbeitsvertraglich waren die jeweils geltenden Tarifverträge des Berliner Holzgewerbes mit Ausnahme der Arbeitszeit in Bezug genommen. Der Kläger wurde zuletzt als Fahrer und Einsarger beschäftigt.
Im Jahre 1992 fehlte der Kläger krankheitsbedingt an insgesamt 46 Arbeitstagen, vom 21. März 1994 bis 30. September 1995 war er aufgrund eines Wegeunfalls arbeitsunfähig krank. Nach einer weiteren Fehlzeit vom 8. Januar bis 25. Februar 1996 wurde der Kläger seit dem 10. Mai 1996 fortlaufend krankgeschrieben. Gemäß einem ärztlichen Attest vom 13. Juni 1996 waren Tätigkeiten, verbunden mit Heben und Tragen, aus orthopädischer Sicht zu vermeiden, um es nicht zu Fehlzeiten durch Arbeitsunfähigkeit kommen zu lassen.
Mit Schreiben vom 28. Juni 1996 kündigte die Beklagte dem Kläger zum 31. Januar 1997.
Das Arbeitsgericht Berlin hat festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden sei. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Kündigung könne nicht auf häufige Fehlzeiten gestützt werden, weil die Fehlzeiten des Klägers keine negative Prognose zuließen. Auch wegen langdauernder Arbeitsunfähigkeit habe dem Kläger – noch – nicht gekündigt werden können, weil er zur Zeit der Kündigung gerade sechs Wochen erkrankt gewesen sei. Zudem sei bereits eine Aushilfskraft auf unbestimmte Zeit eingestellt worden. Schließlich habe auch eine dauernde krankheitsbedingte Leistungsunfähigkeit des Klägers nicht festgestellt werden können, weil sich aus dem vom Kläger beigebrachten Attest nicht ergebe, daß der Kläger die geschuldeten Arbeiten nicht mehr erbringen könne.
Gegen dieses ihr am 11. Februar 1997 zugestellte Urteil richtet sich die am 7. März 1997 eingelegte und am 4. April 1997 begründete Berufung der Beklagten. Sie hält die Kündigung wegen dauernder Leistungsunfähigkeit für sozial gerechtfertigt. Rate ein Orthopäde, bestimmte Tätigkeiten zu vermeiden, so heiße dies, daß sie nicht mehr ausgeführt werden könnten. Da der Kläger weiterhin arbeitsunfähig krank sei, habe zumindest ihre mit der Berufungsbegründung vorsorglich ausgesprochene erneute Kündigung das Arbeitsverhältnis zum nächstmöglichen Termin beendet. Eine weitere Überbrückung mit Aushilfskräften sei ihr nicht mehr zumutbar.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
sowie
festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 4. April 1997 aufgelöst worden sei.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und hält auch die erneute Kündigung für unwirksam. Aufgrund des arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrags des Berliner Tischler-Handwerks vom 12. März 1984 habe nur eine Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 626 BGB ausgesprochen werden können. Der Kläger räumt ein, nicht mehr als Sargträger beschäftigt werden zu können, ist jedoch der Ansicht, daß sich die Arbeit so einteilen lasse, daß er neben zwei Kollegen vollzeitig mit Beurkundungen, Fahrertätigkeit und Wagenpflege beschäftigt werde.
Die Beklagte beantragt,
die Anschlußberufung zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, daß die sog. Beurkundungen mit Rücksicht auf die Sprechstunden der Behörden arbeitstäglich nur bis 13.00 Uhr anfielen und die vom Kläger angesprochene Fahrertätigkeit und Wagenpflege mit dem Tragen von Gegenständen nicht unerheblichen Gewichts verbunden sei.
Entscheidungsgründe
1. Die Berufung ist unbegründet.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28. Juni 1996 zum 31. Januar 1997 aufgelöst worden.
1.1 Nach Nr. 38a des arbeitsvertraglich in Bezug genommenen MTV Tischler-Hw Bln vom 12. März 1984 konnte einem Arbeitnehmer, der das 55., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und dem Unternehmen zu diesem Zeitpunkt mindestens zehn J...