Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsteilübergang. Ortswechsel

 

Leitsatz (amtlich)

Werden die Betriebsmittel und das für ihren Einsatz erforderliche Know-how vom Erwerber an einem weit entfernten Ort zur Erledigung von Anträgen des bisherigen Betriebsinhabers eingesetzt, so kommt es dadurch nicht zu einem Betriebsteilübergang, wenn wesentliche Teile der Belegschaft arbeitsvertraglich nicht verpflichtet sind, dort ihre Arbeitsleistung zu erbringen, und eine Bereitschaft hierzu auch nicht erklärt haben.

 

Normenkette

BGB § 613a Abs. 4 S. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 10.12.1997; Aktenzeichen 69 Ca 23888/97)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Dezember 1997 – 69 Ca 23888/97 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger war seit dem 6. August 1984 bei der Beklagten als Hilfsarbeiter in der Kabelkonfektion tätig. Mit Schreiben vom 30. Mai 1997 (Ablichtung Bl. 5 d.A.) kündigte die Beklagte dem Kläger zum 31. Oktober 1997, weil sie sich aufgrund der Auftragslage gezwungen sah, die Produktion in Berlin einzustellen und die Kabelkonfektion künftig von einem Unternehmen in Tschechien durchführen zu lassen.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Kündigungsschutzklage und den Beschäftigungsantrag des Klägers abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die unternehmerische Maßnahme der Beklagten stelle eine Betriebsteilstillegung dar. Daß die Beklagte dem tschechischen Unternehmen einzelne Maschinen mietweise überlassen und dieses Unternehmen mit der Kabelkonfektion beauftragt habe, reiche nicht für die Annahme eines Betriebsteilüberganges aus. Eine Übertragung von Know-how habe nicht stattgefunden; vielmehr gebe die Beklagte dem tschechischen Unternehmen den Arbeitsablauf im einzelnen vor. Darin liege eine bloße Funktionsnachfolge. Da nur noch Beschäftigungsbedarf im Bereich der Auftrags- bzw. Arbeitsvorbereitung und der Qualitätskontrolle bestehe, sei mangels konkreten Vortrags des Klägers zu seiner Eignung für diese höherbezahlten Tätigkeiten auch die Sozialauswahl nicht fehlerhaft gewesen.

Gegen dieses ihm am 27. April 1998 zugestellte Urteil richtet sich die am 26. Mai 1998 eingelegte und am 24. Juni 1998 begründete Berufung des Klägers. Er ist der Ansicht, daß der Betriebsteil Kabelkonfektion als wirtschaftliche Einheit seine Identität im wesentlichen gewahrt habe, weil die Fortführung der Arbeitsaufgabe durch das Unternehmen in Tschechien mit einer Übernahme sämtlicher dafür notwendiger und noch vorhandener Maschinen und der Information über deren Einsatz einschließlich der Musterverwertung verbunden gewesen sei. Das tschechische Unternehmen produziere ausschließlich mit den Maschinen der Beklagten. Schließlich könne im Bereich der Europäischen Union auch nicht mehr von einer Verlagerung ins Ausland die Rede sein, die einem Betriebsübergang entgegenstehen könnte.

Der Kläger beantragt

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30. Mai 1997 nicht aufgelöst worden sei,
  2. die Beklagte zu verurteilen, ihn über den 31. Oktober 1997 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Hilfsarbeiter weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und verweist darauf, daß Tschechien (noch) nicht zur Europäischen Union gehöre.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist unbegründet.

1.1 Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. Mai 1997 gemäß der Frist des § 622 Abs. 2 Nr. 5 BGB zum 31. Oktober 1997 aufgelöst worden.

1.1.1 Die Kündigung war durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstanden (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG), weil die Beklagte den Betriebsfeil Kabelkonfektion, in dem der Kläger als Hilfsarbeiter tätig war, stillgelegt hat. Dies schloß zugleich eine Unwirksamkeit der Kündigung wegen Betriebsteilübergangs gemäß § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB aus.

Wie, der Kläger selbst erkannt hat, erfordert ein Betriebsteilübergang, daß eine organisatorische Einheit beim neuen Inhaber ihre Identität bewahrt. Führt der neue Inhaber dagegen an einem anderen Ort schon einen eigenen Betrieb, in dessen Rahmen er lediglich für den bisherigen Inhaber im Auftragswege tätig wird, oder muß er dort erst einen Betrieb aufbauen, kann von einer Identität der bisherigen organisatorischen Einheit keine Rede sein, selbst wenn für den anderen bzw. neuen Betrieb die Betriebsmittel des bisherigen Betriebes und das für ihren Einsatz erforderliche Know-how verwendet werden. So verhält es sich aber, wenn der Betriebssitz räumlich derart weit entfernt liegt, daß wesentliche Teile der Belegschaft dort arbeitsvertraglich nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet sind (LAG Düsseldorf, Urteil vom 16. Februar 1995 – 12 Sa 1925/94 – n.v.). Ebenso wie nach zutreffendem neueren Verständnis die Übernahme eines...

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