Revision zugelassen

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonderkündigungsrecht für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Fernsehen der DDR gehört zu den Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung im Sinne der Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III, Einigungsvertrag.

2. Das Sonderkündigungsrecht für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR stellt sich als lex specialis im Verhältnis zu § 1 Abs. 2 und 3 KSchG dar.

 

Normenkette

Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III; KSchG § 1 Abs. 2-3; BPersVG §§ 72, 79

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 14.03.1991; Aktenzeichen 64 Ca 11606/90)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. März 1991 – 64 Ca 11606/90 – mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung wie folgt abgeändert:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

II. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die 1942 geborene, seit mehr als drei Jahren wiederverheiratete Klägerin trat am 13. Oktober 1975 als Dramaturgin in die Dienste des Fernsehens der DDR, dessen Rechtsnachfolger der Beklagte ist. Bein Staatsfernsehen der DDR waren etwa 15.000 Mitarbeiter tätig. Die Klägerin, die in der Hauptabteilung Fernsehdramatik beschäftigt wurde, erhielt zuletzt eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von 1.750,– DM.

Entsprechend einem Beschluß des Ministerrates der DDR von 15. März 1990 bezieht der Deutsche Fernsehfunk (DFF) zu seiner Finanzierung im Bereich des Versorgungsgebietes auf der Basis künftiger Regionalstrukturen Fernsehgebühren ein. Daneben erwirtschaftet er Finanzmittel aus dem Verkauf von Sendezeit (Wirtschaftswerbung), von Programmteilen und durch Dienstleistungen, sofern dadurch der öffentliche Programmauftrag nicht eingeschränkt wird. Der DFF erhält einen prozentual feststehenden Anteil des jährlichen Finanzetats der zukünftigen Regionalstrukturen des Versorgungsgebietes, um der Kulturpflicht derselben programmatisch Ausdruck zu verleihen. Mit Wirkung vom 1. Januar 1991 fielen alle Öffentlichen Subventionen, aus denen sich der Rundfunk und das Fernsehen der ehemaligen DDR finanziert hatten, weg, so daß sich der DFF überwiegend nur aus einem Teil des Gebührenaufkommens der fünf neuen Bundesländer finanzieren kann. Im Wege der Umstrukturierung des DFF aufgrund des Artikel 36 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) vom 31. August 1980 (BGBl. II S. 889) sah sich der Beklagte veranlaßt, im dritten Quartal 1999, eine erste Massenentlassung von 1.300 Mitarbeitern vorzubereiten, unter denen sich auch die Klägerin befand. Deshalb kündigte der Beklagte mit Schreiben vom 30. Oktober 1990 unter Hinweis auf § 54 AGB den Arbeitsvertrag der Klägerin fristgerecht zum 31. Dezember 1990. Für den Verlust des Arbeitsplatzes erhält die Klägerin eine Abfindung in Höhe von 19.080,– DM.

Mit der beim Arbeitsgericht Berlin am 13. November 1990 eingegangenen und dem Beklagten am 3. Dezember 1990 zugestellten Klage hat sich die Klägerin gegen die vom Beklagten ausgesprochene Kündigung gewandt. Sie hat die Auffassung vertreten, daß die Kündigung schon deshalb rechtsunwirksam sei, weil der Personalrat des Beklagten weder nach den gesetzlichen Vorschriften angehört noch vor dem Ausspruch der Kündigung ausreichend informiert worden sei. Ungeachtet dessen, so hat die Klägerin weiter ausgeführt, sei die Kündigung auch sozialwidrig, weil sie auf einem anderen freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden könne, und zwar auf dem des zwischenzeitlich ausgeschiedenen Mitarbeiters … Überdies sei sie, die Klägerin, zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz ihrer Familie auf das Fortbestehen ihres Arbeitsverhältnisses angewiesen. Noch wenigstens drei Jahre müsse sie ihre beiden erwachsenen Kinder aus erster Ehe finanziell unterstützen. Ihr 62-jähriger Ehemann habe zum Jahresende 1990 ebenfalls seine Arbeit verloren.

Ungeachtet dessen sei die Kündigung auch deshalb rechtsunwirksam, weil der Beklagte eine soziale Auswahl nicht oder fehlerhaft vorgenommen habe. Die Arbeitnehmerinnen … seien wesentlich jünger als sie, nämlich 25, 27, 49 und 30 Jahre, seien erst später in die Dienste des Fernsehens der DDR; getreten, nämlich 1990, 1982, 1986 und 1984 und seien auch vom Sozialstatus her weniger schutzbedürftig als sie, die Klägerin. Die von diesen Arbeitnehmern ausgeübte Tätigkeit könne auch von ihr ordnungsgemäß erledigt werden.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, daß ihr Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 30. Oktober 1990 zum 31. Dezember 1990 beendet worden ist, sondern fortbesteht.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß die Entlassung der Klägerin auf dringenden betrieblichen Gründen beruhe. Infolge der Umstrukturierung des DFF hatten 50 % der beschäftigten Dramaturginnen gekündi...

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