Entscheidungsstichwort (Thema)
Auflösungsantrag bei besonderem Kündigungsschutz
Leitsatz (amtlich)
Die §§ 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 KSchG in Verbindung mit § 103 BetrVG über den besonderen Kündigungsschutz für Mitglieder des Wahlvorstandes, Wahlbewerber und Betriebsratsmitglieder sind jedenfalls dann leges speziales gegenüber dem Auflösungsantrag des Arbeitgebers nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG, wenn der Auflösungsantrag auf ein Verhalten des Arbeitnehmers nach Erlangung der Funktion als Wahlvorstand für die Betriebsratswahl, Wahlbewerber für die Betriebsratswahl und Betriebsratsmitglied gestützt wird.
Normenkette
KSchG § 15 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1; BetrVG § 103
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 15.10.2003; Aktenzeichen 36 Ca 14460/03) |
Tenor
I. Der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 15.10.2003 – 36 Ca 14460/03 – wird auf ihre Kosten bei einem Streitwert von 3.100,58 EUR in der II. Instanz zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in zweiter Instanz nur noch um die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag der Arbeitgeberin sowie um die vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers. Rechtskräftig ist die Feststellung des Arbeitsgerichts Berlin geworden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 23. Mai 2003 nicht beendet worden ist.
Der in der N.str. 34 in Berlin wohnhafte Kläger ist seit dem 20. September 1999 bei der Beklagten, die ein S.heim in Berlin betreibt, gegen ein Bruttoentgelt von zuletzt 1.550,29 Euro als Krankenpfleger beschäftigt. Er ist Mitglied der V. …gewerkschaft e.V. (v.).
Am 21. Mai 2003 übersandte Herr M., ein hauptamtlicher Mitarbeiter der Gewerkschaft v., der Beklagten Einladungen zu einer Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes für die Durchführung von Betriebsratswahlen im Betrieb der Beklagten am 28. Mai 2003 in den Räumen der Gewerkschaft. In den folgenden Tagen führte er mit dem von der Beklagten mit der Wahrung ihrer Interessen beauftragten Rechtsanwalt Herrn S. einen Schriftwechsel bezüglich der Berechtigung der Gewerkschaft v., zu einer solchen Betriebsversammlung in ihren Räumen einzuladen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ablichtung der Schreiben vom 21. Mai 2003 und 26. Mai 2003 (Bl. 91, 93 und 94 d.A.) Bezug genommen. Während einer Mitarbeiterversammlung am 23. oder 26. Mai 2003 äußerte sich der Geschäftsführer der Beklagten gegenüber den Beschäftigten wie folgt: Arbeitnehmer, welche am 28. Mai 2003 während ihrer Dienstzeit an der Wahl des Wahlvorstandes teilnehmen, müssten mit einer Abmahnung bzw. einer fristlosen Kündigung rechnen. V. sei zur Mithilfe der Betriebsratsgründung nicht legitimiert. Die Betriebsratsgründung sei Männersache. Männer, die im Leben nichts erreicht hätten, könnten sich in ihrer Aufgabe als Betriebsrat profilieren. Der Betriebsrat gefährde Arbeitsplätze. Am 25. Mai 2003 wies Herr M. der Beklagten durch eine am 17. Mai 2003 notariell beurkundete eidesstattliche Versicherung nach, dass die Gewerkschaft v. im Betrieb der Beklagten mindestens mit einem Mitglied vertreten ist. Der Kläger wurde am 28. Mai 2003 in den Wahlvorstand gewählt.
Im Vorfeld der Wahl äußerte die Heimleiterin der Beklagten, Frau G., gegenüber dem Wahlvorstand, dass sie beabsichtige, während der gesamten Wahl im Wahllokal anwesend zu sein, und ließ sich hiervon auch nicht durch Hinweis auf eine unzulässige Wahlbeeinflussung abbringen. Am Vorabend der Betriebsratswahlen, dem 29. Juli 2003, wandte sich der Kläger telefonisch an die Polizei. Der Inhalt des Telefonats ist zwischen den Parteien streitig. Am Tag der Wahl, dem 30. Juli 2003, erschien ein Polizeibeamter im Betrieb der Beklagten, um nach dem Rechten zu sehen. Der Kläger, der selbst kandidiert hatte, wurde in den Betriebsrat gewählt und ist seit dem 6. August 2003 dessen Vorsitzender.
Mit Schreiben vom 23. Mai 2003, welches dem Kläger am 26. Mai 2003 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. Juni 2003, stellte ihn unter Anrechnung von Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüchen mit sofortiger Wirkung frei und wies darauf hin, dass er das S.heim und das dazugehörige Grundstück nur noch nach vorheriger Anmeldung und in Begleitung der Heim- oder Pflegedienstleitung betreten dürfe. In der Folgezeit meldete die Beklagte den Kläger bei der Krankenkasse ab.
Mit der beim Arbeitsgericht Berlin am 2. Juni 2003 eingegangenen, der Beklagten am 16. Juni 2003 zugestellten Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung vom 23. Mai 2003 gewandt und die Beklagte auf vorläufige Weiterbeschäftigung in Anspruch genommen.
Mit Schreiben vom 11. Juni 2003 erteilte der Verwaltungsbeirat der Eigentümergemeinschaft N.str. 33 bis 34 der Heimleiterin Frau G. und den von ihr beauftragten Erfüllungsgehilfen ein Hausverbot und drohte für den Fall der Missachtung des Hausrechts strafrechtliche Konsequenzen an. Wegen der Einzelheiten des Schreibens wird auf dessen Ablichtung (Bl. 39 d.A....