Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustimmungsersetzungsverfahren. Kenntnis von Wahlbewerberstatus
Leitsatz (amtlich)
1. Das Zustimmungserfordernis des Betriebsrats zu einer außerordentlichen Kündigung eines Wahlbewerbers besteht auch dann, wenn der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Bewerbung hat.
2. Der Arbeitgeber hat eine Erkundigungspflicht und muss notfalls vorsorglich ein Zustimmungsersetzungsverfahren einleiten.
Normenkette
KSchG § 15 Abs. 1 S. 2, Abs. 3; BetrVG § 103 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 28.09.2006; Aktenzeichen 38 Ca 9267/06) |
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 28. September 2006 – 38 Ca 9267/06 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in erster Linie über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung, die der Beklagte mit Schreiben vom 26.04.2006 gegenüber dem am …1959 geborenen, zu 50 % schwerbehinderten und seit dem 01.10.1990 bei ihm als Pförtner zu einem Verdienst von zuletzt 2.350 EUR beschäftigten Kläger erklärt hat. Der Kläger war in der letzten Wahlperiode Ersatzmitglied des Betriebsrats und hatte zuletzt am 30.11.2005 an einer Betriebsratssitzung teilgenommen.
Der Beklagte erlangte am 03.04.2006 davon Kenntnis, dass der Kläger im März 2006 häufiger seinen Arbeitsplatz vorzeitig verlassen und zur Vertuschung falsche Angaben in den Stundennachweisen gemacht hatte. Am 05.04.2006 hörte er den Betriebsrat unter Angabe dieses Sachverhalts zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers nach § 103 BetrVG an und bat um Zustimmung zur Kündigung bzw. Angabe der Hinderungsgründe. Der Betriebsrat verweigerte unter dem 07.04.2006 die Zustimmung.
Am 12.04.2006 beantragte der Beklagte die Zustimmung des Integrationsamtes zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. An diesem Tag wurde auch für die gerade laufende Betriebsratswahl ein den Namen und die Zustimmung des Klägers enthaltender Wahlvorschlag beim Wahlvorstand eingereicht. In Unkenntnis dessen nahm der Beklagte unter dem 19.04.2006 erneut eine Betriebsratsanhörung vor, wobei er in dem ansonsten gleich lautenden Schreiben wie am 05.04.2006 zusätzlich darauf verwies, dass es einer Zustimmung nach § 103 BetrVG nicht bedürfe, weil der Kläger als Ersatzmitglied des Betriebsrats nur den nachwirkenden Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG genieße. Auch darauf verweigerte der Betriebsrat am 21.04.2006 seine Zustimmung. Nachdem am 26.04.2006 das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt hatte, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom selben Tag, das dem Kläger am 27.04.2006 zuging. Am 28.04.2006 erbat der stellvertretende Direktor des Beklagten fernmündlich vom Wahlvorstand die Bekanntgabe der Kandidaten, wurde aber auf den Aushang der Liste verwiesen, der am 03.05.2006 erfolgte. An diesem Tag erlangte der Beklagte Kenntnis von der Wahlbewerbung des Klägers.
Am 16.05.2006 fand die Betriebsratswahl statt; das Wahlergebnis wurde am 22.05.2006 bekannt gegeben. Der Kläger wurde nicht gewählt und steht als Ersatzmitglied an 3. Stelle.
Unter dem 06.07.2006 schrieb der Beklagte dem Betriebsrat „zum Zwecke des Nachschiebens eines Kündigungsgrundes”, dass ihm der Umstand der Wahlbewerbung erst nach Zugang der Kündigung bekannt geworden sei, dass die Kündigung deshalb zwar die Zustimmung des Betriebsrats erfordert hätte, diese Tatsache jedoch zum Kündigungssachverhalt im Anhörungsschreiben vom 19.04.2006 hinzugefügt werde. Die erbetene Zustimmung verweigerte der Betriebsrat abermals.
Mit seiner am 12.05.2006 erhobenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Mit Schriftsatz vom 18.08.2006 hat der Kläger seine Klage um einen vorläufigen Weiterbeschäftigungsantrag erweitert.
Von einer weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird unter Bezugnahme auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils abgesehen.
Durch Urteil vom 28.09.2005 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Kündigung sei bereits gem. § 15 Abs. 3 KSchG unwirksam. Da der Kläger bei Ausspruch der Kündigung Wahlbewerber war, habe es einer Zustimmung des Betriebsrats bedurft, die unstreitig nicht erteilt worden sei. Auf die Kenntnis des Arbeitgebers von dem Wahlbewerberstatus komme es nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht an. Der Arbeitgeber hätte sich auch beim Kläger danach erkundigen können, zumal dieser bereits Ersatzmitglied des vorherigen Betriebsrats war. Infolge der Unwirksamkeit der Kündigung sei auch der vorläufige Weiterbeschäftigungsantrag begründet.
Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gegen das ihm am 09.10.2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 16.10.2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangene und mit einem am 24.11.2006 eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung des Beklagten.
Der Beklagte trägt vor, nach Sinn und Zweck des Zustimmungsbed...