Entscheidungsstichwort (Thema)

Einwirkungspflicht einer Tarifvertragspartei auf ihre Untergliederungen zur Führung von Tarifverhandlungen und Abschluss von Tarifverträgen

 

Leitsatz (redaktionell)

Spitzenorganisationen i.S.d. § 2 Abs. 2 TVG haben regelmäßig keine Möglichkeit, die Landes- bzw Bezirksorganisationen anzuhalten, Tarifverträge einen bestimmten Inhalts abzuschließen.

 

Normenkette

TVG § 2 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 19.11.2003; Aktenzeichen 72 Ca 22451/03)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 25.01.2006; Aktenzeichen 4 AZR 552/04)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. November 2003 – 72 Ca 22451/03 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Am 04. Juli 2002 ist zwischen den Parteien ein „Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Länder und des Landes Berlin” (im Folgenden: TV Lohn/West) abgeschlossen worden. Die Beklagten, bei denen es sich um Spitzenorganisationen im Sinne des § 2 Abs. 2 TVG handelt, haben die Verhandlungen auch im Auftrag und in Vollmacht ihrer Untergliederungen (Bl. 37 d.A.) geführt. Der Tarifvertrag enthält unter anderem in § 8 folgende Regelung:

㤠8

Bezirkslohntarifverträge

(Lohntabellen)

Die Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien sind verpflichtet, unverzüglich die Lohntarifverträge (Lohntabellen) ihres Gebietes nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellen. In diese ist auch eine Sonderlohngruppe für Berufskraftfahrer aufzunehmen.”

Mit der Klage hat die Klägerin gegenüber den Beklagten einen ihr ihrer Ansicht nach zustehenden Erfüllungsanspruch aus der genannten tariflichen Regelung geltend gemacht. Sie hat behauptet, dass die in den Klageanträgen genannten Untergliederungen der Beklagten ihre Pflicht aus der Regelung in § 8 TV Lohn/West nicht erfüllt hätten. Die Beklagten sähen keine Veranlassung, auf ihre Mitglieder einzuwirken. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass durch den TV Lohn/West eine neue Lohnstruktur eingeführt worden sei. Auf Grundlage der zentralen Ergebnisse seien die jeweiligen Lohntabellen der einzelnen Lohngebiete zu erstellen. Das Rechtschutzinteresse für die gestellten Anträge ergäbe sich aus der Nichterfüllung des sich aus § 8 TV Lohn/West ergebenden Anspruches. Es sei Aufgabe der Tarifvertragsparteien auf Länderebene, auch die Entgelt für Sonderlohngruppen entsprechend dem vereinbarten Ergebnis der Lohnrunde 2002 zu erhöhen. Es sei unzutreffend, dass die Sonderlohngruppen durch die im TV Lohn/West vereinbarte neue Lohnstruktur hinfällig seien. Die Tarifnormen des § 8 TV Lohn/West lassen keinen Spielraum für Auslegungsmöglichkeiten.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu 1 zu verurteilen,

(auf verschiedene, namentlich benannte Untergliederungen einzuwirken für festgelegte Zeiträume tarifliche Regelungen abzuschließen.

Auf die Anträge im Original des Urteils Bl. 389 bis 426 d.A. wird Bezug genommen);

und den Beklagten zu 2 zu verurteilen

(auf verschiedene, namentlich benannte Untergliederungen einzuwirken für festgelegte Zeiträume tarifliche Regelungen abzuschließen.

Auf die Anträge im Original des Urteils Bl. 426 bis 463 d.A. wird Bezug genommen).

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben die Auffassung vertreten, dass die Klage nicht ausreichend bestimmt sei. Ein konkretes Einwirkungsmittel sei nicht genannt worden. Ein Rechtschutzinteresse bestehe nicht. Aus § 8 TV Lohn/West ergebe sich ein klagbarer Anspruch gegenüber den Landes- bzw. Bezirksorganisationen. Sie haben behauptet, dass zahlreiche Gespräche stattgefunden hätten, die jedoch zu keinem Abschluss geführt hätten. Dem liege ein Streit darüber zugrunde, ob durch die neue Lohngruppenstruktur im TV Lohn/West auch die Sonderlohngruppen in den Bezirkslohntarifverträgen ersatzlos weggefallen seien. Sie haben ferner die Auffassung vertreten, dass sich die Einwirkungspflicht bestenfalls auf die im TV Lohn/West geregelten Lohngruppen und Löhne beziehen könne, nicht jedoch auf die Sonderlohngruppen. Die fehlende Bereitschaft der Mitgliedsverbände beziehe sich aber allein auf die Sonderlohngruppen. Die Beklagte zu 1) hat bestritten, dass die Landes- und Bezirksorganisationen ihrer Verpflichtung aus § 8 TV Lohn/West nicht nachkämen. Sie hat darüber hinaus die Auffassung vertreten, dass die von der Klägerin begehrte Einwirkung auch in das Recht der zuständigen Tarifvertragsparteien aus Art. 9 Abs. 3 GG eingreifen würde.

Durch Urteil vom 19. November 2003 hat das Arbeitsgericht die Klage wegen nicht ausreichender Bestimmtheit des auf „Einwirkung” gerichteten Leistungsantrages abgewiesen. Es fehle die Benennung eines bestimmten Einwirkungsmittels. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils (Bl. 180 bis 184 d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 14. Januar 2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12. Februar 2004 Berufung eingelegt, die...

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