rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf 100%ige Lohnfortzahlung. Gleichbehandlung
Leitsatz (amtlich)
1. § 12 Ziff. 1 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie im Gebiet der Alt-Bundesrepublik vom 27.5.1991 enthielt keine gesetzesunabhängige Lohnfortzahlungsregelung, sondern eine dynamische Verweisung auf das jeweils geltende gesetzliche Lohnfortzahlungsrecht.
2. Solange der Arbeitgeber seinen sämtlichen Angestellten aufgrund Formulararbeitsvertrages 100 %ige Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfalle (für sechs Wochen) gewährt, muß er diese seinen Arbeitern aus Gründen der Gleichbehandlung ebenfalls gewähren.
Normenkette
MTV f.d. gewerblichen Arbeitnehmer in der Papier. Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie im Gebiet der Alt-Bundesrepublik vom 27.5.1991
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 29.05.1997; Aktenzeichen 37 Ca 1225/97) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29. Mai 1997 – 37 Ca 1225/97 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfalle für die Zeit 31. Oktober bis 30. November 1996, und zwar über die Differenz zwischen 100%iger und 80%iger Entgeltfortzahlung in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 856,77 DM brutto. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der am 27. Mai 1991 abgeschlossene Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie im Gebiet der Alt-Bundesrepublik (im folgenden: MTV Arbeiter 91) Anwendung. Die Beklagte, eine Großbuchbinderei mit (im Klagezeitraum) 104 Arbeitnehmern, darunter 18 Angestellten, ist außerdem kraft Verbandszugehörigkeit an den Manteltarifvertrag vom 22. Juli 1991 für die Angestellten in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie im Gebiet von Berlin (West) (im folgenden: MTV Berlin Angestellte 91) gebunden und wendet diesen auf ihre Angestellten an. Der Streit geht insbesondere darum, ob § 12 MTV Arbeiter 91 einen vom Gesetz unabhängigen. 100%igen Entgeltfortzahlungsanspruch gibt und ob – im verneinenden Fall – § 13 Ziff. 2 MTV Berlin Angestellte 91 seinerseits den Angestellten einen gesetzesunabhängigen, 100%igen Entgeltfortzahlungsanspruch gewährt und ob dem Kläger, der als Buchbinder (gewerblicher Arbeitnehmer) beschäftigt ist, deshalb aus Gründen der Gleichbehandlung ein 100%iger Entgeltfortzahlungsanspruch zusteht.
Durch Urteil vom 29. Mai 1997, auf dessen Tatbestand wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in erster Instanz verwiesen wird (Bl. 47 f. d.A.), hat das Arbeitsgericht Berlin
die Beklagte verurteilt, an den Kläger 856,77 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 01. Dezember 1996 zu zahlen,
und zwar mit der Begründung, § 12 MTV Arbeiter 91 enthalte keine eigenständige tarifliche Regelung; § 13 Ziffer 2 MTV Berlin Angestellte 91 gebe den Angestellten jedoch einen vom Gesetz unabhängigen. 100%igen Gehaltsfortzahlungsanspruch; diese Ungleichbehandlung sei nicht gerechtfertigt, dem Kläger sei deshalb die Klageforderung zuzusprechen.
Gegen dieses am 26. Juni 1997 zugestellte Urteil richtet sich die am 24. Juli 1997 eingegangene und am 22. August 1997 begründete Berufung der Beklagten.
Sie wendet sich mit Rechtsausführungen insbesondere gegen die Annahme des Arbeitsgerichts, der MTV Berlin Angestellte 91 enthalte eine gesetzesunabhängige Regelung. § 13 Ziffer 2 dieses Tarifvertrages habe lediglich aus Gründen der Vereinfachung die in verschiedene Gesetze (§ 616 Abs. 2 BGB, § 63 HGB, § 133 c GewO) verstreuten Grundregelungen einer sechswöchigen Gehaltsfortzahlung mit eigenem Wortlaut zusammengefaßt, statt umständlich auf die diversen Gesetze zu verweisen, eine gesetzesunabhängige Regelung liege darin aber nicht. Allerdings müsse sie einräumen, daß sie ihren Angestellten auch im letzten Quartal 1996 tatsächlich eine 100%ige Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle gesichert habe; dies liege aber ausschließlich daran, daß sämtlichen Angestellten in einem Formularvertrag ausdrücklich eine sechswöchige Gehaltsfortzahlung zugesichert gewesen sei. Hätte sich im letzten Quartal 1996 nicht bereits abgezeichnet, daß die tariflichen Regelungen sowohl für Arbeiter als auch für Angestellte ab Januar 1997 eine einheitliche und gesetzesunabhängige Entgeltfortzahlungsregelung enthalten würden, hätte sie ihren Angestellten gegenüber Änderungskündigungen ausgesprochen, um die für sie geltende Rechtslage an die tarifliche, die der gesetzlichen entsprochen habe, anzupassen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine erstinstanzliche Auffassung, wonach der MTV Arbeiter 91 eine eigenständige Regelung über eine 100%ige Entgeltfortzahlung enthalte...