Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. 100%-Regelung im Tarifvertrag
Leitsatz (amtlich)
Anforderungen an eine konstitutive tarifliche Regelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Normenkette
EFZG § 4 I; MTV Hotel- und Gaststättengewerbe Berlin § 16
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 04.04.1997; Aktenzeichen 44 Ca 48552/96) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 4. April 1997 – 44 Ca 48552/96 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die tarifgebundenen Parteien streiten über den Umfang des der Klägerin fortzuzahlenden Entgelts im Krankheitsfalle.
Diese war in der Zeit vom 16. bis 19. Oktober sowie vom 19. bis 28. November 1996 arbeitsunfähig krank. Die Beklagte gewährte ihr Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, kürzte die Leistung jedoch von 100 % auf 80 %. Die rechnerisch unstreitige Differenz entspricht der Klagesumme.
Nach Auffassung der Klägerin schuldet die Beklagte die Fortzahlung des Entgelts in vollem Umfang. Die Änderung des Entgeltfortzahlungsgesetzes hätte auf ihr Arbeitsverhältnis keinen Einfluß gehabt. Insbesondere wäre aus § 16 Ziff. 4 und 5 MTV abzuleiten, daß auch Ziff. 1 MTV eine eigenständige statische Regelung darstellte.
Die Klägerin hat beantragt.
die Beklagte zu verurteilen, an sie 288,21 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 14. Januar 1997 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Tarifvertrag enthielte eine dynamische Verweisung auf die jeweils geltende Fassung des Entgeltfortzahlungsgesetzes. Die von der Klägerin angezogenen Regelungen des § 16 Ziff. 4 und 5 MTV beträfen lediglich die Berechnungsgrundlagen und wären daher für die Auslegung des § 16 Ziff. 1 a.a.O. nicht von entscheidender Bedeutung.
Mit einem am 04. April 1997 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht Berlin – 44 Ca 48552/96 – der Klage stattgegeben. Es hat dies im wesentlichen damit begründet, daß § 16 Ziff. 1 MTV eine statische Verweisung auf die Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes in der damals geltenden Fassung darstellte, der Klägerin daher Entgeltfortzahlung im Umfang von 100 % zustünde. Dabei könnte offenbleiben, ob einer auf eine gesetzliche Vorschrift verweisende Tarifnorm grundsätzlich nur deklaratorische Bedeutung zukäme oder grundsätzlich eher von einer konstitutiven statischen Bedeutung ausgegangen werden müßte; denn im Streitfall wäre hinreichend deutlich, daß die Tarifvertragsparteien eine eigenständige statische Regelung gewollt hätten. Dies folge – wenn auch insoweit nicht zwingend – zunächst aus der grammatikalischen Auslegung, ergebe sich aber auch aus der Beachtung systematischer Gesichtspunkte bei der Feststellung des Normsetzungswillens der Tarifvertragsparteien. Insoweit sei besonders der Zusammenhang des § 16 Ziff. 1 mit den Vorschriften der Ziffern 4 und 5 zu erwähnen. Vor allem aber müsse beachtet werden, daß die Regelungen über die Entgeltfortzahlung von grundsätzlicher Bedeutung für die Arbeitnehmer seien, so daß vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung fernliegend sei anzunehmen, daß die Tarifvertragsparteien mit der Regelung vom 31.03.1995 eine flexibel-dynamische Regelung hätten treffen wollen. Insoweit bestünde auch ein erheblicher Unterschied zu dem den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zur Länge der Kündigungsfristen zugrundeliegenden Sachverhalt. Mit der Zulassung der mittelbaren Einwirkung des Gesetzgebers auf den Inhalt von Tarifverträgen würde das ausgehandelte Gleichgewicht des Vertragsgefüges nachträglich zu Lasten der Arbeitnehmer verändert. Ein solche Absicht könnte den Tarifvertragsparteien nicht unterstellt werden.
Gegen diese ihr am 08. Juli 1997 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte mit einem am 08. August 1997 beim Landesarbeitsgericht Berlin eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 08. September 1997 begründet.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für unzutreffend; denn das Arbeitsgericht habe übersehen, daß die Tarifvertragsparteien hier ohne ausdrückliche Kennzeichnung eines davon abweichenden Willens im Hinblick auf die Entgeltfortzahlung lediglich auf die gesetzliche Regelung verwiesen haben. Aber auch die Systematik des Tarifvertrages lasse sich nicht zur Begründung der Entscheidung heranziehen. § 16 Ziff. 4 und 5 enthielte lediglich besondere Regelungen für Spezialsachverhalte, ohne den vom Arbeitsgericht gesehenen Gesamtzusammenhang zu begründen. Schließlich könne ihm auch nicht in seiner teleologischen Betrachtung gefolgt werden; denn diese beruhte lediglich auf Mutmaßungen (Bl. 34 bis 39 sowie 50 bis 53 d. A.).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 04. Mai 1997 – Az.: 44 Ca 48552/96 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt.
die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließt sich den nach ihrer Auffassung zut...