Entscheidungsstichwort (Thema)

Schulung von teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern. Freizeitopfer. mittelbare Frauendiskriminierung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder müssen bei Teilnahme an – üblicherweise ganztägigen – Schulungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG 1972 gegenüber vollzeitbeschäftigten generell ein besonderes Freizeitopfer erbringen.

2. § 37 Abs. 6 BetrVG 1972 enthält insoweit eine Regelungslücke, als wegen der Verweisung nur auf Abs. 2, nicht aber Abs. 3 teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern für dieses Freizeitopfer auch bis zur Höhe der betrieblichen Vollarbeitszeit weder Arbeitsbefreiung noch Vergütung gewährt wird.

3. Da teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder überwiegend Frauen sind, stellt die Regelungslücke eine mittelbare Frauendiskriminierung dar. Sie ist mit dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG, dem Grundsatz des gleichen Entgelts nach Art. 119 EWG-Vertrag und der Lohngleichheitsrichtlinie 75/117 EWG Juris: EWGRL 117/75 vom 10. Februar 1975 unvereinbar.

4. Die Regelungslücke ist verfassungskonform im Lichte dieser EWG-Normen bis zur Höhe der betrieblichen Vollarbeitszeit durch entsprechende Anwendung des § 37 Abs. 3 BetrVG 1972 zu schließen, denn die betrieblich veranlaßte Organisation von Teilzeitarbeit macht den Zeitaufwand für Schulungen außerhalb der (individuellen) Arbeitszeit unvermeidlich, der folglich betriebsbedingt ist.

 

Normenkette

EWG-Vertrag/Lohngleichheitsrichtlinie 75/117/EWG vom 10.2.1975 Art. 119; GG Art. 3 Abs. 2 ff.; BetrVG 1972 § 37 Abs. 2-3, 6

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 14.03.1989; Aktenzeichen 2 Ca 180/88)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. März 1989 – 2 Ca 180/88 – teilweise wie folgt geändert:

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Dauer von 33 Stunden Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes zu gewähren.

II. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 1/12 und die Beklagte zu 11/12.

IV. Der Streitwert beträgt unverändert DM 545,76.

V. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist bei der Beklagten bzw. vor dem 1. Februar 1988 bei deren Rechtsvorgängerin als Wurstverkäuferin mit 22 Stunden pro Woche in Teilzeit beschäftigt. Ihre aus dem Gehalt für eine vollbeschäftigte Kraft abgeleitete Stundenvergütung beträgt 15,16 DM brutto.

Seit Mai 1987 war die Klägerin Mitglied des bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten gebildeten Betriebsrates. Nach dessen Beschluß vom 19. Mai 1987 und entsprechender Unterrichtung der Arbeitgeberin – nahm die Klägerin in der Zeit vom 1. bis 13. November 1987 an einem Lehrgang „Betriebsverfassung” des DGB-Bildungswerkes in Bad Kreuznach teil. Dieser Lehrgang erfüllte unstreitig die Schulungsvoraussetzungen des § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG 1972. Die Klägerin wurde auch für die Dauer dieses Lehrganges von ihrer Arbeitsleistung unter Fortzahlung des Entgelts freigestellt.

Der Lehrgang wurde mit jeweils 40 Stunden pro Woche durchgeführt. Im Betrieb der Rechtsvorgängerin der Beklagten galt damals eine tarifliche wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden. Infolge einer tariflich gestatteten anderweitigen Verteilung der wochenarbeitszeit arbeiteten allerdings die in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmer jeweils 40 Stunden pro Woche und erhielten entsprechenden Freizeitausgleich in Form von Blockfreizeit.

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin für die Dauer ihrer Teilnahme an der genannten Schulungsveranstaltung einen Freizeitausgleich bzw. eine zusätzliche Vergütung für die ihre Teilzeitarbeit übersteigende Schulungszeit beanspruchen kann.

Nach erfolgloser vorgerichtlicher Geltendmachung hat die Klägerin mit ihrer am 18. Mai 1988 beim Arbeitsgericht Berlin eingereichten Klage, die sie nach entsprechender Anregung des Gerichts umgestellt hat, Freizeitausgleich für die Dauer von 36 Stunden (Differenz zwischen ihrer Teilzeittätigkeit und der tatsächlichen betrieblichen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden für zwei Wochen) unter Fortzahlung des Entgelts begehrt und hilfsweise die Zahlung des entsprechenden Arbeitsentgelts in der rechnerisch unter den Parteien unstreitigen Höhe von 545,76 DM brutto nebst Verzugszinsen verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Anspruch rechtfertige sich aus § 37 Abs. 3 BetrVG, da auch die Teilnahme an Schulungen zur Betriebsratstätigkeit rechne. Soweit § 37 Abs. 6 BetrVG 1972 auf Absatz 3 dieser Vorschrift nicht verweise, bedürfe es einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift, da nur dies verfassungsgemäß im Sinne des Gleichbehandlungsgebotes für Mann und Frau sei und dem Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen gemäß der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 10. Februar 1975 sowie dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Richtlinie vom 9. Februar 1976 entspreche. Von allen in Teilzeitarbeit Beschäftigten seien im J...

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