Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses wegen neonazistischer/ausländerfeindlicher Äußerungen. Notwendigkeit einer Abmahnung
Leitsatz (amtlich)
1. Äußert sich ein deutscher Auszubildender ohne Anlaß gegenüber einem türkischen Kollegen ausländerfeindlich, und äußert er sich darüber hinaus im Betrieb allgemein menschenverachtend (hier: durch Absingen eines „Auschwitz-Liedes”), so liegt darin ein schwerer Verstoß gegen die betrieblichen Verhaltenspflichten, der einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Ausbildungsverhältnisses darstellt
2. Auch bei derartigen Verstößen ist vor Ausspruch der Kündigung im allgemeinen eine Abmahnung erforderlich. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Auszubildende noch jugendlich (hier: 16 Jahre alt) und erkennbar unreif ist und eine „charakterliche Förderung” nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 BBiG weder vom Ausbildenden versucht worden ist noch von vornherein aussichtslos erscheint (im Anschluß an LAG Köln, NZA-RR 1996, 128).
Normenkette
BBiG § 15 Abs. 2 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 17.07.1997; Aktenzeichen 91 Ca 11482/97) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17. Juli 1997 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine am 12. März 1997 zugegangene außerordentliche Kündigung des seit 01. September 1996 bestehenden Ausbildungsverhältnisses des (am 17. März 1980 geborenen) Klägers. Die Kündigung ist wesentlich darauf gestützt, daß der Kläger (zusammen mit dem Lehrlingskollegen E.) am 25. Februar 1997 ein 5 × 25 cm großes Blechschild gefertigt und es dem weiteren (türkischen) Auszubildenden D. an dessen Werkbank geschraubt hatte mit der Aufschrift (in eingestanzten Buchstaben): „ARBEIT MACHT FREI – TÜRKEI SCHÖNES LAND” und dem handschriftlichen Zusatz: „Döner”. Bei den diesbezüglichen Ermittlungen wurde der Personalabteilung der Beklagten bekannt, daß in der (elfköpfigen) Ausbildungsgruppe des Klägers im Dezember 1996 während der Arbeitszeit mehrmals neonazistische Lieder gesungen worden waren, unter anderem ein Lied mit dem Titel „Auschwitz wir kommen” und Textzeilen, wonach „Juden getrieben” und „die Öfen schon einmal bereitgemacht” werden sollten. Die Kündigung ist auch darauf gestützt, daß der Kläger hieran aktiv mitgewirkt habe, was er bestreitet. Der zuständige Ausschuß zur Beilegung von Lehrlingsstreitigkeiten hat durch Spruch vom 17. April 1997 die Kündigung für unwirksam erklärt, unter anderem mit der Begründung, ihr hätte eine schriftliche Abmahnung vorangehen müssen. Die Beklagte hat den Spruch nicht anerkannt.
Durch Urteil vom 17. Juli 1997, auf dessen Tatbestand wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in erster Instanz verwiesen wird (Bl. 74 bis 77 d.A.), hat das Arbeitsgericht Berlin
festgestellt, daß das Berufsausbildungsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 12. März 1997 nicht aufgelöst ist,
und zwar im wesentlichen mit der Begründung: Sowohl durch die Anfertigung und Anbringung des Schildes als auch durch das (zugunsten der Beklagten unterstellte) Mitsingen rassistischer und militaristischer Lieder mit rechtsextremem Inhalt habe der Kläger zwar in grober Weise seine ausbildungsvertraglichen Pflichten verletzt. Auf der anderen Seite habe die Kündigung aber gravierende Folgen für die gesamte Zukunft des Klägers. Nach dem von der Kammer gewonnenen persönlichen Eindruck sei der Kläger weder ausländerfeindlich noch rechtsextremistisch, sondern eher ziemlich unreif, so daß nicht ausgeschlossen werden könne, daß er sich lediglich einer Gruppendynamik in der Ausbildungsgruppe angepaßt habe; auch angesichts des jugendlichen Alters des Klägers zu den „Tatzeiten” sei die Kündigung im Ergebnis zu hart. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen (Bl. 77 bis 81 d.A.).
Gegen dieses am 21. August 1997 zugestellte Urteil richtet sich die am 19. September 1997 eingegangene und am Montag, dem 20. Oktober 1997 begründete Berufung der Beklagten.
Die Beklagte bemängelt zunächst, das Arbeitsgericht habe einseitig die Interessen des Klägers berücksichtigt, nicht dagegen gewürdigt, daß sie Lehrlinge und Arbeitnehmer verschiedener Nationalitäten beschäftige und die Verpflichtung habe, diese vor ausländerfeindlichen und rassistischen Handlungen deutscher Mitarbeiter zu bewahren. Das Verhalten des Klägers gehe weit über einen „Dummer-Jungen-Streich” hinaus und habe, nicht zuletzt aufgrund der aufwendigen Ermittlungen, zu einer erheblichen Störung des Betriebsfriedens geführt; ein Lehrling, der sich so verhalte, könne nicht weiterbeschäftigt werden. Sie behauptet nunmehr, der Kläger habe im Dezember 1996 die fraglichen Lieder nicht nur mitgesungen, sondern die Texte mitgebracht und sie den anderen Mitgliedern der Ausbildungsgruppe vorgesungen; deshalb könne auch nich...