Entscheidungsstichwort (Thema)

Versetzung. Direktionsrecht. Erweitertes Direktionsrecht. Tarifliches Direktionsrecht. Feststellungklage. Feststellungsinteresse

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gegen eine Versetzung auf Grundlage eines Tarifvertrages, der das arbeitgeberseitige Direktionsrecht erweitert, kann der betroffene Arbeitnehmer eine Feststellungsklage erheben, ohne dass eine Leistungsklage erforderlich wäre (im Anschluss an BAG, Urteil vom 29.09.2004 – 1 AZR 473/03).

2. Der Umfang und die Reichweite des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts ergibt sich aus den Notwendigkeiten und Besonderheiten der Organisation betrieblicher Arbeitsleistung und wird durch § 106 GewO i.V.m. § 315 Abs. 1 BGB begrenzt.

3. Tarifvertragliche Regelungen, die dem Arbeitgeber den einseitigen Eingriff in den Arbeitsvertrag gestatten, sind zulässig, wenn und soweit der Tarifvertrag selbst die Merkmale festlegt, unter denen der Arbeitgeber zum einseitigen Eingriff berechtigt ist.

4. Eine den Vorgaben des TV Ratio entsprechende Versetzung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers verletzt diesen weder in seinem Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG noch in seiner Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 GG.

 

Normenkette

TV Ratio §§ 3, 5; TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1; BetrVG § 99 Abs. 1; BGB § 315 Abs. 1; GewO § 106; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 12

 

Verfahrensgang

ArbG Potsdam (Urteil vom 18.08.2004; Aktenzeichen 6 Ca 911/04)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 18.08.2004 – 6 Ca 911/04 – abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit der Versetzung des Klägers in die Beschäftigungs- und Qualifizierungseinheit V. der Beklagten und seinen vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch auf seinem bisherigen Arbeitsplatz.

Der Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 01.09.1970 zuletzt im Bezirksbüro Netze 25 (BBN 25) der Niederlassung Nord-Ost als Objekttechniker Infrastruktur Netze mit der Aufgabenträgernummer 554 47 zu einem monatlichen Bruttoverdienst i. H. v. 4.659,34 Euro auf seiner sogenannten Regelarbeitsstelle in Z., einem von acht dem BBN 25 zugewiesenen Standorten zusammen mit der dort ebenfalls beschäftigten Arbeitnehmerin S. tätig gewesen. Der vorgesetzte Ressortleiter des Klägers zum Ressort 554 BBN 25 hatte seinen Sitz in P.. Zur Organisation der Technikniederlassung P. sowie zur regionalen Verbreitung der Organisationseinheiten wird auf die Organigramme und Pläne Bl. 318, 319 und 322 d. A. Bezug genommen. Am Standort der Technikniederlassung war ein Betriebsrat gebildet.

Die Parteien sind jeweils kraft Organisationszugehörigkeit tarifgebunden. Wie die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 31.05.1995 mitgeteilt hat, ist er mit Wirkung vom 31.12.1994 tariflich unkündbar. Hinsichtlich der weiteren Sozialdaten des Klägers und der Arbeitnehmerin S. wird auf die Fragebögen zu sozialen und persönlichen Belangen, Bl. 132 und 133 d. A., Bezug genommen.

Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 25.03.2004 (vgl. Bl. 12 u. 13 d. A.) seine Versetzung in die V. gem. § 5 TV Ratio mit Wirkung zum 01.04.2004 mit. Der Betriebsrat der Niederlassung hat der Versetzung auf seiner Sitzung am 30./31.03.2004 und am 01.04.2004 zugestimmt, wie er der Beklagten mit Schreiben vom 01.04.2004 mitgeteilt hat (vgl. Bl. 116 d. A.).

Zuvor hatte die Beklagte im Rahmen des Beschäftigungsbündnisses mit der Gewerkschaft ver.di den Tarifvertrag Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung (TV Ratio) am 29.06.2002 vereinbart. Zur Umsetzung von Rationalisierungsmaßnahmen schlossen die Beklagte und der bei ihr gebildete Gesamtbetriebsrat zwei zentrale Interessenausgleiche und Sozialpläne, den sogenannten ZIA 2003 und ZIA NICE, auf deren Inhalt Bl. 59 b. 74 d. A. und 75 b. 81 d. A. Bezug genommen wird. Auf der Basis dieser Vereinbarungen gab die Beklagte mit Schreiben der Zentrale vom 07.08.2003 (vgl. Bl. 82 b. 91 d. A.) die einzelnen Rationalisierungsmaßnahmen, bezogen auf die einzelnen Aufgabenträgernummern einer Aufgabengruppe und die einzelnen Organisationseinheiten nach Abstimmung mit dem Gesamtbetriebsrat bei der Beklagten bekannt. Für die Aufgabengruppe „554” lagen eine Reihe von Rationalisierungsmaßnahmen vor, auf deren Auflistung auf die Berufungsbegründung, S. 39 – Bl. 243 d. A. – Bezug genommen wird. Zur Aufgabenträgernummer 554 47 ergab sich ein Personalbedarf i. H. v. 231,8 Einheiten. Entsprechend den Anweisungen der Beklagten zur Berechnung des Personalbedarfs (vgl. dazu die Anlagen Bl. 262 b. 270 d. A.) errechnete sich für die BBN 25 ein Personalbedarf i. H. v. 17,51 Personaleinheiten. Im Hinblick auf den zum damaligen Zeitpunkt vorhandenen Ist-Bestand i. H. v. 28 Personaleinheiten ergab sich eine Personalbestandsreduzierung i. H. v. 10,5 Personaleinheiten (vgl. dazu die Anlage B 9, Bl. 134 d. A.). Die anstehenden Personalreduzierungsmaßnahmen wurden mit dem Betriebsrat der Niederlassung am 11...

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