Revision eingelegt: 3 AZR 241/95
Entscheidungsstichwort (Thema)
betriebliche Zusatzrente – Anordnung '54. gesetzlicher Anspruch. Widerruf
Leitsatz (amtlich)
1. Die „Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben” vom 9. März 1954 (Anordnung '54) hat einen gesetzlichen Anspruch auf Zahlung einer betrieblichen Zusatzrente begründet, soweit die dort genannten Anspruchsvoraussetzungen erfüllt wurden. Einer betrieblichen „Umsetzung” durch individualrechtliche Zusage oder individual- bzw. kollektivrechtliche Vereinbarung bedurfte es nicht.
2. Die Regelung in Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 4 der Anlage II zum Einigungsvertrag vom 31. August 1990, wonach die Anordnung bis zum 31. Dezember 1991 anzuwenden ist, führt bei verfassungskonformer Auslegung der Norm nicht zum Wegfall bereits entstandener Ansprüche auf Zahlung der betrieblichen Zusatzrente. Sie verhindert lediglich das Entstehen neuer Ansprüche und eine Dynamisierung. Ob auch Anwartschaften erhalten bleiben, war nicht zu entscheiden.
3. Vorruheständler, die in einer Betriebsvereinbarung Altersrentnern gleichgestellt worden sind, behalten ebenfalls ihren Anspruch auf die betriebliche Zusatzrente.
4. Ein Widerruf der betrieblichen Zusatzversorgung wegen wirtschaftlicher Notlage ist ausgeschlossen, weil es sich um einen gesetzlichen Anspruch handelt.
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschn. III Nr. 4
Verfahrensgang
ArbG Brandenburg (Urteil vom 25.11.1993; Aktenzeichen 1 (3) Ca 2381/92) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Brandenburg vom 25.11.1993 – 1 (3) Ca 2381/92 – abgeändert:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 1.656 brutto nebst 4 §Zinsen auf den sich aus DM 720,– brutto ergebenden Nettobetrag seit 25.11.1992 und aus DM 936,– brutto ergebenden Nettobetrag seit 04.11.1994 zu zahlen.
- Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, ab Januar 1994 weiterhin an den Kläger eine Betriebsrente von DM 72,00 monatlich zu zahlen.
- Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer betrieblichen Zusatzrente auf der Grundlage der „Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben” vom 9. März 1954 (GBl. I 1954, S. 301) – im folgenden: Anordnung '54.
Der Kläger war vom … 1956 bis zum … 1990 im Betrieb der Beklagten, dem früheren VEB Chemiefaserwerk … beschäftigt. Er bezog zunächst Vorruhestandsgeld und erhielt, nachdem er das 65. Lebensjahr vollendet hatte, ab November 1990 von der Beklagten eine monatliche Zusatzrente in Höhe von DM 72,– entsprechend einem Schreiben der Beklagten vom 29. Oktober 1990, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 3 d.A.).
Die Beklagte stellte die Rentenzahlung mit Ablauf des Jahres 1991 ein mit der Begründung, die Zahlungsverpflichtung sei nach den Regelungen des Einigungsvertrages entfallen.
Der Kläger widersprach der Einstellung der Rentenzahlung mit dem Schreiben vom 11. Juli 1992, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 4, 5 d.A.), unter Hinweis auf die Einigungsvertragsregelungen. Weiter heißt es in dem Schreiben vom 17. Februar 1992 (Bl. 3 RS d.A.):
„Auf Grund der wirtschaftlichen Situation der … ist es auch nicht möglich, die bisher gewährten Renten als betriebliche Leistung fortzusetzen.”
Der Kläger widersprach der Einstellung der Rentenzahlung mit dem Schreiben vom 11. Juli 1992, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 4, 5 d.A.), unter Hinweis auf die Sozialplanregelungen.
§ 13 Ziffer 7 des Sozialplanes vom 1. Juli 1990 lautete:
„Für die Berechnung der betrieblichen Zusatzrente bilden die letzten 5 Jahre vor dem Vorruhestand die Grundlage, vorausgesetzt, bis zu diesem Termin kann eine 20jährigen Betriebszugehörigkeit nachgewiesen werden, bzw. bis zum Erreichen des Rentenalters wäre diese erreicht worden.
Sie ist vom ausgeschiedenen im Vorruhestand befindlichen Kollegen bei Erreichen des Rentenalters in der Abteilung gesundheitliche und soziale Betreuung persönlich zu beantragen.”
Abgeändert wurde diese Regelung in der Ergänzungsvereinbarung vom 3. Oktober 1990 dahingehend, daß der Begriff „Vorruhestand” durch „Altersübergang” ersetzt wurde. Eine weitere Modifizierung erfolgte in der 3. Nachtragsvereinbarung vom 1. Juni 1991, auf die im übrigen Bezug genommen wird (Bl. 23, 24 d.A.), zu § 13 „Altersübergangsregelung” in Ziffer 8:
„Anwartschaften aus der betrieblichen Zusatzrente bleiben erhalten, sofern die Voraussetzung einer 20jährigen Betriebs Zugehörigkeit zum Zeitpunkt des Ausscheidens vorliegt bzw. diese wäre bis zum Erreichen des Rentenalters erreicht worden.
Mit Erreichen des gesetzlichen Rentenalters wird der Anspruch fällig.”
Mit seiner am 11. November 1992 beim Arbeitsgericht Brandenburg eingegangenen Klage hat der Kläger die Weiterzahlung der Rente ...