Revision eingelegt: 3 AZR 242/95
Entscheidungsstichwort (Thema)
betriebliche Zusatzrente – Anordnung '54. gesetzlicher Anspruch. Widerruf
Leitsatz (amtlich)
1. Die „Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben” vom 9. März 1954 (Anordnung '54) hat einen gesetzlichen Anspruch auf Zahlung einer betrieblichen Zusatzrente begründet, soweit die dort genannten Anspruchsvoraussetzungen erfüllt wurden. Einer betrieblichen „Umsetzung” durch individualrechtliche Zusage oder individual- bzw. kollektivrechtliche Vereinbarung bedurfte es nicht.
2. Die Regelung in Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 4 der Anlage II zum Einigungsvertrag vom 31. August 1990, wonach die Anordnung bis zum 31. Dezember 1991 anzuwenden ist, führt bei verfassungskonformer Auslegung der Norm nicht zum Wegfall bereits entstandener Ansprüche auf Zahlung der betrieblichen Zusatzrente. Sie verhindert lediglich das Entstehen neuer Ansprüche und eine Dynamisierung. Ob auch Anwartschaften erhalten bleiben, war nicht zu entscheiden.
3. Ein Widerruf der betrieblichen Zusatzversorgung wegen wirtschaftlicher Notlage ist ausgeschlossen, weil es sich um einen gesetzlichen Anspruch handelt.
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschn. III Nr. 4
Verfahrensgang
ArbG Brandenburg (Urteil vom 25.11.1993; Aktenzeichen 1 Ca 2383/92) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Brandenburg vom 25.11.1993 – 1 (4) (3) (1) Ca 2383/92 – abgeändert:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 1.472,– brutto nebst 4 § Zinsen auf den sich aus DM 640,– brutto ergebenden Nettobetrag seit 25.11.1992 und aus DM 832,– brutto ergebenden Nettobetrag seit 04.11.1994 zu zahlen.
- Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, ab Januar 1994 weiterhin an den Kläger eine Betriebsrente von DM 64,00 monatlich zu zahlen.
- Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer betrieblichen Zusatzrente auf der Grundlage der „Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben” vom 9. März 1954 (GBl. I 1954, S. 301) – im folgenden: Anordnung '54).
Der Kläger war seit 1951 im Betrieb der Beklagten, dem früheren VEB … beschäftigt. Mit Vollendung seines 65. Lebensjahres am 5. März 1990 schied er aus dem Arbeitsverhältnis, in dem er in den vorangegangenen fünf Jahren ein Nettodurchschnittseinkommen von 1.286,89 DM erzielte, aus.
Mit dem Schreiben vom 23. März 1990, auf das Bezug genommen wird (Bl. 3 d.A.) wurde dem Kläger mitgeteilt, daß er entsprechend der „Verordnung vom 9. März 1954” ab 1. März 1990 eine betriebliche Zusatzrente von 64,– Mark monatlich erhalte. Die Beklagte stellte die Rentenzahlung mit Ablauf des Jahres 1991 ein und begründete dies gegenüber dem Kläger in dem Schreiben vom 17. Februar 1992 damit, die Zahlungsverpflichtung sei nach den Regelungen des Einigungsvertrages entfallen. Weiter heißt es in diesem Schreiben (Bl. 4 d.A.):
„Auf Grund der wirtschaftlichen Situation der Markischen Faser ist es auch nicht möglich, die bisher gewährten Renten als betriebliche Leistung fortzusetzen.”
Der Kläger widersprach der Einstellung der Rentenzahlung mit dem Schreiben vom 11. Juli 1992, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 5, 6 d.A.), unter Hinweis auf die Sozialplanregelungen.
§ 13 Ziffer 7 des Sozialplanes vom 1. Juli 1990 lautete:
„Für die Berechnung der betrieblichen Zusatzrente bilden die letzten 5 Jahre vor dem Vorruhestand die Grundlage, vorausgesetzt, bis zu diesem Termin kann eine 20jährigen Betriebszugehörigkeit nachgewiesen werden, bzw. bis zum Erreichen des Rentenalters wäre diese erreicht worden.
Sie ist vom ausgeschiedenen im Vorruhestand befindlichen Kollegen bei Erreichen des Rentenalters in der Abteilung gesundheitliche und soziale Betreuung persönlich zu beantragen.”
Abgeändert wurde diese Regelung in der Ergänzungsvereinbarung vom 3. Oktober 1990 dahingehend, daß der Begriff „Vorruhestand” durch „Altersübergang” ersetzt wurde. Eine weitere Modifizierung erfolgte in der 3. Nachtragsvereinbarung vom i. Juni 1991, auf die im übrigen Bezug genommen wird (Bl. 24, 25 d.A.), zu § 13 „Altersübergangsregelung” in Ziffer 8:
„Anwartschaften aus der betrieblichen Zusatzrente bleiben erhalten, sofern die Voraussetzung einer 20-jährigen Betriebs Zugehörigkeit zum Zeitpunkt des Ausscheidens vorliegt bzw. diese wäre bis zum Erreichen des Rentenalters erreicht worden.
Mit Erreichen des gesetzlichen Rentenalters wird der Anspruch fällig.”
Mit seiner am 11. November 1992 beim Arbeitsgericht Brandenburg eingegangenen Klage hat der Kläger die Weiterzahlung der Rente von 64,– DM monatlich und deren Nachzahlung ab 1. Januar 1992 begehrt.
Er hat die Auffassung vertreten:
Der Anspruch ergebe sich bereits aus dem Schreiben vom 23. März 1990, das ein Schuldanerkenntnis enth...