Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung bei negativer Zukunftsprognose. Weiterbeschäftigung auf einem höherwertigen Arbeitsplatz
Leitsatz (redaktionell)
Eine krankheitsbedingte Kündigung kann im Einzelfall trotz Vorliegens einer negativen Zukunftsprognose und betrieblichen Störungen unwirksam sein, wenn dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem freien oder in absehbarer Zeit frei werdenden auch höherwertigen Arbeitsplatz zumutbar ist.
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
ArbG Bremen (Urteil vom 26.10.2004; Aktenzeichen 2 Ca 2148/03) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen vom 26.10.2004 – Az.: 2 Ca 2148/03 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.
Der Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen personenbedingten Kündigung.
Der am 21.06.1971 geborene Kläger ist seit dem 01.09.1989 zuerst in einem Ausbildungsverhältnis und seit dem 26.01.1993 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen als Fachhandwerker/Schlosser beschäftigt. Sein zuletzt erzieltes durchschnittliches Monatsentgelt beträgt EUR 2.488,00 brutto.
Bei der Beklagten sind regelmäßig mehr als 5 vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden tätig. Im Betrieb der Beklagten besteht ein Betriebsrat.
Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 28.06.2003 das Arbeitsverhältnis aus personenbedingten Gründen zum 31.12.2003.
Mit der am 03.07.2003 bei Gericht eingereichten Klage wehrt sich der Kläger gegen diese Kündigung vom 28.06.2003.
Seit 1998 sind beim Kläger folgende Krankheitszeiten und Lohnfortzahlungskosten zu verzeichnen:
Jahr |
AU-Tage mit LFZ |
ohne LFZ |
Kosten der LFZ ohne Arbeitgeberanteil SV |
mit Arbeitgeberanteil SV |
1998 |
46 |
0 |
6215,83 EUR |
7469,22 EUR |
1999 |
50 |
0 |
6560,33 EUR |
7829,83 EUR |
2000 |
54 |
0 |
7377,09 EUR |
8829,60 EUR |
2001 |
50 |
27 |
6694,44 EUR |
8022,05 EUR |
2002 |
30 |
seit 18.2. |
4052,66 EUR |
4866,76 EUR |
Der Kläger ist seit dem 07.01.2002 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahre 1999 war er wegen eines Arbeitsunfalls an 9 Arbeitstagen krankheitsbedingt ausgefallen.
Der Kläger war in der Fachklinik F. … in einer Rehabilitationskur. Am 24.07.2002 wurde er arbeitsunfähig entlassen. Der Entlassungsbericht kommt zu folgendem Ergebnis:
„…Herr K. ist auf dem Boden eines beginnenden 2-Segmentbandscheibenschadens mit begleitender Reizung der oben erwähnten Bandstrukturen, trotz schon längerfristig erfolgter Gerätetrainingstherapie, statisch minderbelastbar. Hinweise für rheumatisch-entzündliche Veränderungen fanden sich bei stets glaubhafter Beschwerdesymptomatik und guter Motivation nicht. Die Prognose der Erkrankungen ist nicht sicher abzuschätzen, aktuell erscheint es nicht ratsam, Herrn K. weiterhin Arbeiten mit Wirbelsäulenbelastung (Wirbelsäulenzwangshaltungen, Heben und Tragen/Bewegen schwerer Lasten) auszusetzen. Aus diesem Grunde wurde eine Sozialberatung während des Heilverfahrens durchgeführt. Aus ärztlicher Sicht erscheint nach zwischenzeitlich erweiterter Diagnostik eine beruflich weitere Förderung sinnvoll, zumal Herr K. die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Industriemechaniker und Industriemeister (Bereich Gas und Wasser) mit häufig nötigen Wirbelsäulenzwangshaltungen nur noch maximal 3 bis unter 6 Stunden absolvieren kann.
Unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes kann Herr K. 6 Stunden und mehr körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in möglichst häufigem Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen in jeder Schichtform absolvieren. Zu vermeiden sind vorwiegend Wirbelsäulenzwangshaltungen sowie Heben und Tragen/Bewegen schwerer Lasten.
Herr K. ist jetzt sehr interessiert an einer beruflichen Neuorientierung, um seine beruflichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten. Mit den momentanen Beschwerden traut er sich die bisherige Tätigkeit nicht mehr zu.
Wir entließen Herr K. im Einverständnis arbeitsunfähig für die letzte Tätigkeit aus dem Heilverfahren…”
Am 30.01.2003 erteilte Herr Dr. med. S. …, Facharzt für Orthopädie, Chirotherapie, Sportmedizin eine fachorthopädische Bescheinigung, die wie folgt lautet:
„Herr K. … ist seit mehr als einem Jahr durchgehend arbeitsunfähig krank wegen Rückenbeschwerden, die auf kernspintomographische nachgewiesene Bandscheibenvorwölbungen der beiden unteren Lendenbandscheiben zurückgehen. Auch durch eine Heilbehandlung unter stationären Bedingungen konnte das Beschwerdebild nicht soweit gebessert werden, dass die Arbeitsfähigkeit für die bisherige berufliche Tätigkeit wiederhergestellt werden konnte. Auf Grund der derzeitigen Befunde und des langen Verlaufes sind auf Dauer nur noch leichte Arbeiten mit wechselnder Tätigkeit zwischen Sitzen, Stehen und Gehen ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen und ohne häufiges Bücken und Tragen von schweren Gegenständen zumutbar. Andernfalls ist bei Wiederaufnahme der Arbeit mit kurzfr...