Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der vollmachtlos durch den beigeordneten Rechtsanwalt eingelegten Berufung
Leitsatz (amtlich)
1. Die ohne Vollmacht der Partei durch einen nach § 121 Abs. 5 ZPO beigeordneten Rechtsanwalt eingelegte Berufung ist unzulässig. Der Beiordnungsbeschluss vermag die erforderliche Vollmacht nicht zu ersetzen. Auch das im Beiordnungsverfahren durch die Partei im Rahmen ihrer Anhörung gegenüber dem Gericht erklärte Einverständnis mit der Beiordnung des Rechtsanwalts kann nicht ohne weiteres als Vollmachtserteilung ausgelegt werden.
2. Geht taggleich mit der Berufung durch den beigeordneten Rechtsanwalt bei dem Landesarbeitsgericht ein Schreiben der Partei ein, in dem diese erklärt, dem Anwalt "vorerst keine Vollmacht" zu erteilen, kommt auch die Annahme eines Handelns des Anwalts aufgrund einer Anscheinsvollmacht nicht in Betracht.
3. Die Partei kann bis zum Schluss der Berufungsinstanz das vollmachtlose Handeln des beigeordneten Rechtsanwalts mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels genehmigen.
4. Genehmigt die Partei das Handeln des beigeordneten Rechtsanwalts nicht und wird ihr auf ihren wie auch den Antrag des Anwalts unter Entbindung desselben ein neuer Rechtsanwalt nach § 121 Abs. 5 ZPO beigeordnet, der nunmehr bevollmächtigt, aber nach Fristablauf Berufung für sie einlegt und Wiedereinsetzung beantragt, ist im Rahmen des Wiedereinsetzungsverfahrens zu prüfen, ob das Verhalten der Partei (Nichterteilung der Vollmacht trotz kurz zuvor noch bestätigten Einverständnisses mit dem ersten beigeordneten Anwalt, Nichtgenehmigung der Einlegung des Rechtsmittels durch diesen) sorgfaltswidrig und das Versäumen der Berufungsfrist durch den zweiten Rechtsmittelschriftsatz damit nicht mehr unverschuldet war.
5. Kommt es im Hinblick auf die inhaltlichen Anforderungen an eine Berufungsbegründung zwischen Partei und Anwalt zu Differenzen, begründet und entschuldigt dies allein noch nicht, warum die Partei nicht die Einlegung des Rechtsmittels durch diesen Anwalt genehmigt, der ihr nur wenige Tage zuvor noch mit ihrem ausdrücklichen Einverständnis beigeordnet worden ist. Denn wenn auch ihre Einverständniserklärung im Beiordnungsverfahren noch nicht die Vollmachtserteilung ersetzt, führt sie doch dazu, dass die Partei Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen muss. So hätte sie bereits vor Einverständniserklärung Kontakt mit dem Anwalt aufnehmen und die aus ihrer Sicht bestehenden Anforderungen für eine Berufungsbegründung klären können. Jedenfalls begründen und entschuldigen die Differenzen bzgl. der erforderlichen Ausführungen zur Berufungsbegründung nicht die Verweigerung der Genehmigung der - fristwahrenden - Einlegung des Rechtsmittels und damit die Versäumung der Berufungsfrist.
6. Dass das Berufungsgericht das Handeln der Partei nicht als mutwillig und rechtsmissbräuchlich eingestuft und ihr daher einen neuen Rechtsanwalt beigeordnet hat, schließt die anschließende Einstufung des Verhaltens als gleichwohl sorgfaltswidrig und damit die Annahme einer verschuldeten Versäumung der Berufungsfrist nicht aus.
7. Legen zunächst ein vollmachtlos handelnder und danach ein bevollmächtigter Rechtsanwalt für dieselbe Partei Berufung ein, handelt es sich zwar um zwei Prozesshandlungen, jedoch nur um ein Rechtsmittel. Ist über die zunächst eingelegte Berufung noch nicht entschieden worden, als die weitere Rechtsmittelschrift bei Gericht eingeht, ist einheitlich über das durch die beiden Prozesshandlungen eingelegte Rechtsmittel zu entscheiden.
8. Im Falle einer einheitlichen Entscheidung über das durch beide Prozesshandlungen nicht zulässig eingelegte Rechtsmittel scheidet eine ansonsten in Betracht zu ziehende Veranlasserhaftung des vollmachtlos zuerst handelnden Anwalts für die Verfahrenskosten aus, wenn jedenfalls auch die Partei Verantwortung für die Erfolglosigkeit der Berufung trägt.
Normenkette
ZPO §§ 78, 78b, 80, 88-89, 121 Abs. 5; ArbGG §§ 66, 77; AGG §§ 1, 3, 7, 15; ZPO §§ 233, 238
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 08.07.2016; Aktenzeichen 4 Ca 365/16) |
Tenor
I.
Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 08.07.2016 - Az.: 4 Ca 365/16 - - zunächst eingelegt mit Schriftsatz des Rechtsanwalts M.-B. vom 28.12.2016 - darüber hinaus eingelegt mit Schriftsatz vom 20.06.2017 namens und in Vollmacht der Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt X. wird unter Verwerfung des Wiedereinsetzungsantrages vom 28.12.2016 und unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages vom 20.06.2017 als unzulässig verworfen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Die Revisionsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG im Zusammenhang mit einer im August 2015 erfolgten Stellenbewerbung.
Die am 07.09.1961 geborene Klägerin absolvierte im heutigen Russland ein Informatikstudium und zog danach im Alter von 36 Jahren nach Deutschland.
Die Beklagte betreibt ein...