Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg bei Zahlungsklage wegen mehrerer Anspruchsgrundlagen. Zuständigkeit des Arbeitsgerichts bei Lohnklage nach Corona-Quarantäne. Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts bei Abbedingung des § 616 BGB im Arbeitsvertrag. Unbegründetheit der Klage gegen Arbeitgeber nach § 56 IfSG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Kommen für den Streitgegenstand einer Klage mehrere Anspruchsgrundlagen in Betracht, die unterschiedlichen Rechtswegen zugeordnet sind, ist das angerufene Gericht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG zur Entscheidung unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten berufen, wenn es zumindest für eine der bei objektiver Würdigung in Betracht kommenden und nicht offensichtlich ausgeschlossenen Anspruchsgrundlagen zuständig ist.

2. Dementsprechend wird bei der Zahlungsklage einer Arbeitnehmerin gegen ihren Arbeitgeber für den Zeitraum einer coronabedingten Absonderung nach § 30 Abs. 1 IFSG die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte dann anzunehmen sein, wenn neben dem infektionsschutzrechtlichen Entschädigungsanspruch aus § 56 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 Satz 1 IFSG auch arbeitsrechtliche Anspruchsgrundlagen nicht offensichtlich ausgeschlossen sind. Das betrifft vor allem die Anspruchsgrundlage aus § 616 BGB. Da umstritten ist, ob selbst bei 14-tägiger oder noch länger andauernder Quarantäne noch ein verhältnismäßig nicht erheblicher Verhinderungszeitraum angenommen werden kann und die Rechtsfrage höchstrichterlich ungeklärt ist, scheidet die Anspruchsgrundlage jedenfalls nicht offensichtlich aus.

3. Die Regelung des § 616 BGB ist jedoch dispositiv und kann daher arbeitsvertraglich wirksam abbedungen oder modifiziert werden.

4. Ist § 616 BGB wirksam abbedungen worden und auch sonst offensichtlich keine arbeitsrechtliche Anspruchsgrundlage einschlägig, ist für die Zahlungsklage einer Arbeitnehmerin, mit der sie von ihrem Arbeitgeber eine Entschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 IFSG für die Zeit der coronabedingten Absonderung nach § 30 Abs. 1 IFSG einfordert, aufgrund der spezialgesetzlichen Sonderzuweisung des § 68 Abs. 1 IFSG die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte gegeben.

5. Dass eine Entschädigungsklage nach § 56 IFSG entgegen der Regelung des § 66 Abs. 1 IFSG nicht gegen das zur Zahlung verpflichtete Land, sondern gegen den insoweit nach § 56 Abs. 5 Satz 1 IFSG lediglich als Zahlstelle des Landes fungierenden Arbeitgeber gerichtet wird, hindert die Rechtswegzuweisung nach § 68 Abs. 1 IFSG zur Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht, sondern betrifft allein die Frage der (Un-)Begründetheit der Klage.

 

Normenkette

GVG § 17a; ArbGG § 2; VwGO § 40; IfSG §§ 56, 66, 68; BGB § 616; GVG § 17 Abs. 2; IfSG § 30 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 02.06.2022; Aktenzeichen 5 Ca 308/22)

 

Tenor

  • I.

    Die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 23.06.2022 gegen den Rechtswegbeschluss des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 02.06.2022 - Az.: 5 Ca 308/22 - wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin.

  • III.

    Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 111,11 € festgesetzt.

  • IV.

    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Parteien streiten über den Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Entschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 IFSG für die Zeit der behördlich angeordneten Absonderung (Quarantäne) vom 23.12.2021 bis 06.01.2022 in Höhe von zuletzt noch 333,33 € brutto und in diesem Zusammenhang vorab über die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Arbeitsgerichten.

Die Klägerin, geboren am 17.06.1987, verheiratet und zwei Kindern gegenüber unterhaltspflichtig, war bei der Beklagten, einem Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie mit Sitz in S., in der Zeit vom 01.11.2021 bis zum 31.01.2022 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war der schriftliche Anstellungsvertrag vom 29.09.2021 (Anlage K4, Blatt 13 ff. der Akte), der unter anderem unter § 9 folgende Regelung enthält:

"§ 9 Arbeitsverhinderung, Arbeitsunfähigkeit

1. [...]

2.Im Falle der persönlichen Verhinderung, gemäß § 616 BGB, erfolgt die Freistellung unter Fortzahlung der Bezüge ausschließlich in folgenden Fällen.

-1 Tag: Eheschließung des Beschäftigten am Ereignistag

-1 Tag: Tod des Ehegatten/Lebenspartners (n.d. LPartG) oder eines Verwandten 1. Grades

-1 Tag: Geburt des eigenen Kindes

3.Im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit hat die Beschäftigte außerdem auch die hierfür geltenden besonderen gesetzlichen Mitteilungs- und Nachweispflichten ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit zu erfüllen. [...]

[...]"

In der Zeit vom 23.12.2021 bis einschließlich 02.01.2022 hatte die Beklagte Betriebsferien angeordnet und die Klägerin Urlaub genehmigt bekommen. Für den Zeitraum vom 23.12. bis 31.12.2021 hat die Beklagte während des Rechtsstreits nachträglich 666,67 € brutto gezahlt (Nachberechnung Anlage B8, Blatt 122 der Akte), der 01. und 02.01.2022 fielen auf das nach § 3 Ziffer 2 des Arbeitsvertrages arbeitsfreie Wochenende.

Die zu diesem Zeitpu...

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