Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifkonkurrenz. Günstigkeitsprinzip. Sachgruppenvergleich

 

Leitsatz (amtlich)

1) Im Verhältnis zwischen einem individualrechtlich vereinbarten und einem kraft Allgemeinverbindlichkeitserklärung wirkenden Tarifvertrag gilt das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG.

2) Beim Günstigkeitsvergleich ist ein Sachgruppenvergleich vorzunehmen.

 

Normenkette

TVG § 4 Abs. 3; BGB § 613a Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Solingen (Urteil vom 19.04.2010; Aktenzeichen 4 Ca 2028/09 lev)

 

Tenor

1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 19.04.2010 – 4 Ca 2028/09 lev – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2) Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Rahmen einer Zahlungsklage über die Anwendbarkeit konkurrierender Tarifverträge.

Die Klägerin ist auf der Grundlage zweier Arbeitsverträge vom 30.08.2000 und 30.07.2001 seit dem 01.09.2000 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Reinigungskraft beschäftigt. In Ziffer 7 des zuletzt genannten Arbeitsvertrags heißt es:

Die allgemeinen Vertragsbedingungen ergeben sich aus dem Manteltarifvertrag für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen sowie den firmeninternen Regelungen in ihrer jeweils gültigen Fassung.

Der in Bezug genommene „Manteltarifvertrag für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23.03.1995” (im Folgenden „MTV Gaststätten- und Hotelgewerbe” genannt) enthält unter anderem folgende Regelungen:

[…]7.4

Urlaubsgeld

Zusätzlich zum Urlaubsgeld erhalten Arbeitnehmer/innen ein Urlaubsgeld nach folgenden Staffeln:

7.4.1 nach einjähriger, ununterbrochener Betriebszugehörigkeit vom 19. bis zum 35. Lebensjahr pro Urlaubstag 10.10 EUR nach einjähriger, ununterbrochener Betriebszu gehörigkeit ab dem 36. Lebensjahr pro Urlaubstag 10.41 EUR

7.4.2 nach zweijähriger, ununterbrochener Betriebszugehörigkeit vom 19. bis 35. Lebensjahr pro Urlaubstag 11,63 EUR nach zweijähriger, ununterbrochener Betriebszugehörigkeit ab dem 36. Lebensjahr pro Urlaubstag 11,94 EUR

7.4.3 nach dreijähriger, ununterbrochener Betriebszugehörigkeit vom 19. bis 35. Lebensjahr pro Urlaubstag 13,17 EUR nach dreijähriger, ununterbrochener Betriebszugehörigkeit ab dem 36. Lebensjahr pro Urlaubstag 13,48 EUR

Die Betriebszugehörigkeit i. S. der Urlaubsgeldberechnung beginnt mit dem Tag des Eintritts. Für das dann folgende Kalenderjahr (Urlaubsjahr) erhält der/die Arbeitnehmer/in für jeden Monat nach Ablauf der 12-monatigen Betriebszugehörigkeit 1/12 des Urlaubsgeldes gemäß § 7.4.1. Im darauffolgenden Kalenderjahr (Urlaubsjahr) erhält der/die Arbeitnehmer/in das Urlaubsgeld gemäß § 7.4.2. […].

§ 9

Jahressonderzahlungen

9.1 Jede/r Arbeitnehmer/in, der/die am 01.12. des jeweiligen Kalenderjahres in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht, hat Anspruch auf eine Sonderzahlung von:

Nach einer Betriebszugehörigkeit

1995/1996

1997

1998

von 12 Monaten

10 %

10 %

50 %

von 24 Monaten

25 %

30 %

50 %

von 36 Monaten

30 %

35 %

50 %

von 48 Monaten

35 %

40 %

50 %

9.2 Die Jahressonderzahlung ist, soweit mit dem Betriebsrat nicht anders vereinbart, mit dem Entgelt für den Monat November auszuzahlen […].

Mit Schreiben vom 24.06.2002 (Bl. 19 und 20 d. A.) unterrichtete die Rechtsvorgängerin der Beklagten die Klägerin sowie ihre Kolleginnen und Kollegen über einen zum 01.09.2002 geplanten und dann auch tatsächlich durchgeführten Betriebsübergang auf die Beklagte. In diesem Schreiben heißt es u. a.:

Ab dem 1. September 2002 ist die Firma X. Dienstleistung GmbH Ihr neuer Arbeitgeber. Sie übernimmt im Wege eines Betriebsübergangs alle Rechte und Pflichten aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis. Die tariflichen Regelungen des Gastgewerbes und Betriebsvereinbarungen der C. Restaurant + Service GmbH werden nach Maßgabe des § 613 a BGB Bestandteil Ihres Arbeitsverhältnisses. Die Firma X. wird Ihnen daher auch das Urlaubsgeld und – sofern ein Vertrag nach dem Vermögensbildungsgesetz abgeschlossen wurde – vermögenswirksame Leistungen nach den tariflichen Bestimmungen des Gastgewerbes zahlen.

Den Teil des Urlaubsgeldes, den wir im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge des Gastgewerbes einbehalten haben, werden wir wieder an Sie auszahlen.

Die Beklagte kündigte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24.09.2009 zum 31.12.2009.

Mit ihrer am 05.10.2009 beim Arbeitsgericht Solingen anhängig gemachten Klage hat die Klägerin die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Mit Schreiben vom 18.12.2009 hat die Beklagte die zunächst streitbefangene Kündigung zurückgenommen, unter demselben Datum eine Kündigung zum 31.03.2010 ausgesprochen und auch diese später wieder zurückgenommen.

Die Klägerin hat daraufhin ihre Kündigungsschutzklage nicht mehr weiterverfolgt und mit Klageerweiterungsschriftsatz vom 09.02.2010 Anspruch auf Zahlung von Urlaubsgeld und Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 geltend gemacht.

Sie hat die Auffassung vertreten, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fänden auch nach...

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