Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang des Auskunftsverweigerungsrechts eines Zeugen im Arbeitsgerichtsprozess im Hinblick auf ein anhängiges Straf- bzw. Kartellordnungswidrigkeitenverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Voraussetzungen eines Auskunftsverweigerungsrechts gem. § 384 Nr. 2 Alt. 2 ZPO sind bereits erfüllt, wenn die Gefahr der Verfolgung des Zeugen wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit besteht. Einer Gewissheit der Bestrafung oder Ahnung bedarf es nicht.
2. Da die Schwelle eines Anfangsverdachts i.S. des § 152 Abs. 2 StPO niedrig liegt, ist auch das Bestehen einer entsprechenden Gefahr bereits weit im Vorfeld einer direkten Belastung zu bejahen.
3. Die Gefahr einer Strafverfolgung bei wahrheitsgemäßer Beantwortung von Fragen wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Staatsanwaltschaft schon einmal ein Ermittlungsverfahren gegen den betreffenden Zeugen gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat. Denn eine Einstellungsverfügung gem. § 170 Abs. 2 StPO begründet keine Vertrauenstatbestand zu Gunsten des Beschuldigten und entfaltet keine wie auch immer geartete Rechtskraftwirkung.
Normenkette
ZPO § 384 Nr. 2 Alt. 2
Verfahrensgang
ArbG Essen (Aktenzeichen 2 Ca 298/12) |
Tenor
Es wird festgestellt,
dass die Zeugnisverweigerung des Zeugen H. in Bezug auf die Fragen
Woher haben Sie Oberbaumaterialien bezogen?
Wer waren die Hauptkunden der VKA im Ruhrgebiet?
War die Duisburger Verkehrsgesellschaft eine Kundin?
War die Mülheimer Verkehrsgesellschaft eine Kundin?
War die RWE Power AG aus Frechen eine Kundin?
War die Essener Verkehrs AG eine Kundin?
War die Rheinbahn AG Düsseldorf eine Kundin?
Kennen Sie Herrn I.?
berechtigt ist
sowie,
dass der Zeuge H. berechtigt ist, umfassend seine Aussage zu verweigern.
- Die Kosten des Zwischenverfahrens trägt die Beklagte.
- Der Streitwert für das Zwischenverfahren wird auf € 261.625,00 festgesetzt.
- Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über die Berechtigung einer Zeugnisverweigerung.
Die Beklagte nimmt den Kläger im Wege der Widerklage auf Schadensersatz in Höhe von 300.000 € in Anspruch. Ferner begehrt sie die Feststellung, dass der Kläger verpflichtet ist, den Schaden zu ersetzen, der ihr aus einer Beteiligung des Klägers an wettbewerbswidrigen Absprachen entstanden ist oder entstehen wird.
Die Beklagte ist ein Tochterunternehmen des U. L.-Konzerns. Sie vertreibt deutschlandweit über mehrere Verkaufsbüros Oberbaumaterialien, d. h. Schienen, Schwellen, Weichen und Zubehör, unter anderem für den Privatmarkt. Zum Privatmarkt zählen Aufträge von Nahverkehrsbetrieben, Regionalbahnen oder privaten Wirtschaftsunternehmen mit eigenen Gleisanlagen. Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.01.1996 als Leiter des Verkaufsbüros F. angestellt.
Im Jahr 2001 veräußerte der U. L.-Konzern sämtliche Geschäftsanteile an der U. U. Schienentechnik GmbH (im Folgenden: U.) - einem Schienenwerk mit Sitz in E. - an den w.-Konzern. In diesem Zusammenhang vereinbarte die Muttergesellschaft der Beklagten mit der U. eine Vertriebsvereinbarung. Auf Grundlage dieser Vertriebsvereinbarung lieferte die U. im Zeitraum 2001 - 2011 Schienenprodukte an die Beklagte.
Der w.-Konzern betreibt ein weiteres Schienenwerk in M./ Österreich. Die dort hergestellten Schienen werden durch die w. L. Bahntechnik GmbH (im Folgenden: W.) vertrieben. Der Zeuge H. war zumindest bis zum Jahr 2011 Vertriebsleiter der W..
Die Staatsanwaltschaft Bochum ermittelt seit Mitte 2011 gegen die Beklagte und weitere Hersteller bzw. Händler von Schienen, Weichen und Schwellen wegen des Verdachts wettbewerbswidriger Absprachen. Am 14./15.05.2011 fand eine Durchsuchung der Geschäftsräume der Beklagten statt. Weitere Durchsuchungen erfolgten bei Vertretern der Beklagten sowie bei anderen beschuldigten Unternehmen und deren Vertretern.
Mit Bescheid vom 18.07.2013 verhängte das Bundeskartellamt (Az. B12 - 16/12 und B12 - 19/12) gegen die Beklagte ein Bußgeld in Höhe von 88 Mio. €. Die Bebußung der Beklagten erfolgte aufgrund der Feststellung des Bundeskartellamts, dass die Beklagte im Zeitraum von mindestens 2001 bis Mai 2011 an Preis-, Quoten und Kundenschutzabsprachen der Hersteller bzw. Händler von Schienen, Weichen und Schwellen auf dem Privatmarkt beteiligt war.
Zwischen dem Kläger und der Beklagten sind/waren eine Anzahl von Kündigungsschutzverfahren und andere Rechtsstreite über Entgelt, Tantieme, Aufwendungsersatz u. a. vor dem Arbeitsgericht Essen und dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf anhängig.
Die Beklagte macht geltend, der Kläger sei im oben genannten Zeitraum an den wettbewerbswidrigen Absprachen beteiligt gewesen. Er habe mit dem Zeugen H. in Bezug auf 18 - im Widerklageantrag zu 2) näher bezeichnete - Aufträge abgesprochen, dass die W. Vertragspartnerin der jeweiligen Kunden werden sollte. Auch habe der Kläger mit dem Zeugen H. die den Kunden berechneten Preise in den jeweiligen Angeboten abgesprochen. Desweiteren habe der Kläger mit dem Zeugen H. und Vertretern anderer Wettbewerbsunternehmen die...