Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhinderung an Erbringung der Arbeitsleistung bei symptomloser Covid-Erkrankung. Keine Arbeitsunfähigkeit bei Covid ohne Symptome. Quarantäne als unerhebliche Fehlzeit bei langjährig beschäftigtem Arbeitnehmer. Kein Verschulden an Covid-Erkrankung bei Infektion in Hochrisikogebiet. Kein Vorwurf bei Reisen in Ländern mit Corona-Warnung
Leitsatz (amtlich)
1. Die symptomlose SARS-CoV-2 (Corona) - Infektion eines Arbeitnehmers begründet für sich genommen keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im Sinne von § 3 Abs. 1 EFZG.
2. Die symptomlose SARS-CoV-2 (Corona) - Infektion eines Arbeitnehmers begründet allerdings einen in seiner Person liegenden Verhinderungsgrund im Sinne von § 616 Satz 1 BGB.
3. Der Zeitraum der wegen einer SARS-CoV-2 (Corona) - Infektion angeordneten Absonderung (Quarantäne) von zwei Wochen bzw. 11 Arbeitstagen betrifft im Falle eines langjährig beschäftigten Arbeitsnehmers eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit im Sinne von § 616 Satz 1 BGB.
4. Einen Arbeitnehmer, der in ein als Risiko-, nicht jedoch als Hochrisikogebiet eingestuftes Land verreist, für das zum Zeitpunkt des Reiseantritts - wie auch der gesamten Reise - keine behördliche Reisewarnung ausgesprochen ist, trifft kein Verschulden an der Arbeitsverhinderung, wenn nach Reiserückkehr eine SARS-CoV-2 (Corona) - Infektion festgestellt wird.
Normenkette
EFZG § 3 Abs. 1; BGB §§ 275, 326, 616; IfSG §§ 30, 56; ZPO §§ 533, 529; ArbGG § 64; BGB § 275 Abs. 3; EFZG § 3; ZPO § 92
Verfahrensgang
ArbG Solingen (Entscheidung vom 22.12.2022; Aktenzeichen 1 Ca 330/22) |
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 22.12.2022 - Az.: 1 Ca 330/22 - teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.073,60 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 01.09.2021 zu zahlen.
II.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III.
Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz trägt der Kläger, die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte zu 46% und der Kläger zu 54%.
IV.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 16. bis 30.08.2021.
Der Kläger ist seit dem 01.05.2008 bei der Beklagten, die ein Galvanik- und Polierzentrum betreibt, auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 30.04.2008, wegen dessen Inhalts auf Blatt 57 ff. der erstinstanzlichen Akte Bezug genommen wird, als Helfer beschäftigt.
Der doppelt gegen das SARS-CoV-2 Virus geimpfte Kläger befand sich vom 23.07.2021 bis zum 14.08.2021 in der Türkei. Zum Zeitpunkt der Reise hatte das Robert-Koch-Institut die Türkei durch Mitteilung vom 04.06.2021 für die Zeit ab 06.06.2021 als sog. "Risikogebiet" eingestuft. Risikogebiete waren zum damaligen Zeitpunkt laut Information des Robert-Koch-Instituts vom 04.06.2021 zur Ausweisung internationaler Risikogebiete unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass es in dem jeweiligen Staat oder der jeweiligen Region in den letzten sieben Tagen mehr als 50 an SARS-CoV-2-Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner gab. Sie unterschieden sich von den Hochrisikogebieten vor allem dadurch, dass jene besonders hohe Fallzahlen von mehr als 200 an SARS-CoV-2-Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen aufwiesen. Für Risikogebiete bestand zum damaligen Zeitpunkt keine offizielle Reisewarnung, von nicht notwendigen, touristischen Reisen wurde lediglich "abgeraten".
Laut täglichem Lagebericht des Robert-Koch-Instituts vom 23.07.2021 (Blatt 77 ff. der erstinstanzlichen Akte), dem Tag der Abreise des Klägers in die Türkei, wies der Wohn- und Arbeitsort E. des Klägers zum damaligen Zeitpunkt mit 67,8 den höchsten in Deutschland zu verzeichnenden Inzidenzwert der an SARS-CoV-2-Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner auf.
Zum 17.08.2021 wurde die Türkei als Hochrisikogebiet eingestuft. Mit Wirkung vom 17.08.2021 wurde eine offizielle Reisewarnung vor nicht notwendigen, touristischen Reisen in die Türkei ausgesprochen.
Mit Ordnungsverfügung der Stadt Solingen vom 17.08.2021, wegen deren Inhalts im Übrigen auf die Anlage zur Klageschrift (Blatt 12 ff. der erstinstanzlichen Akte) Bezug genommen wird, wurde gegenüber dem Kläger angeordnet, dass dieser sich vom 16.08.2021 bis einschließlich zum 30.08.2021 in seiner häuslichen Wohnung in Quarantäne zu begeben und mithin gemäß § 30 IfSG abzusondern habe. Grundlage der Ordnungsverfügung war nach deren Begründung eine am 16.08.2021 mit positivem Ergebnis bei dem Kläger durchgeführte Testung auf eine SARS-CoV-2 Infektion.
Der Kläger befolgte die Ordnungsverfügung und erschien dementsprechend in der Zeit von Montag, 16.08.2021 bis Montag, 30.08.2021 auch nicht bei der Beklagten zu Arbeitsleistung. Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für diesen Zeitraum existiert nicht. Die Beklagte zahlte für den Zeitraum an den Kläger kein Entgelt. Hätte der Kläger in dem Zeitraum gearbeit...