Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung eines tariflich unkündbaren Arbeitnehmers
Leitsatz (amtlich)
Bei einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer sind bei einer krankheitsbedingten Kündigung in allen Prüfungsstufen deutlich erhöhte Anforderungen zu stellen. Fehlzeiten von 57 und 38 Arbeitstagen können eine negative Prognose nicht rechtfertigen.
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 05.10.2011; Aktenzeichen 8 Ca 1161/11) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 05.10.2011 – 8 Ca 1161/11 – wird das Urteil abgeändert.
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist vom 22.02.2011 zum 30.09.2011 nicht beendet wurde.
- Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 60 %, die Klägerin zu 40 %.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung.
Auf den Tatbestand der Entscheidung des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 05.10.2011 wird hinsichtlich des erstinstanzlichen Vortrages und der gestellten Anträge Bezug genommen.
Zu ergänzen ist, dass nach dem Urteil der ersten Instanz am 20.01.2012 ein Rentenbescheid wegen einer Rente aufgrund voller Erwerbsminderung, befristet für die Zeit vom 01.05.2012 bis zum 31.10.2013 (insoweit wird Bezug genommen auf den Rentenbescheid Bl. 417 d.A.) ergangen ist.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Klägerin zwar tariflich unkündbar sei, jedoch ein Arbeitsverhältnis auch bei einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden könne. Eine solcher Grund könne im Ausnahmefall durch eine Krankheit des Arbeitnehmers bedingt sein. Dies sei vorliegend auch unter Berücksichtigung der anzulegenden strengen Maßstäbe bei der krankheitsbedingten, insbesondere bei einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung, gegeben. Eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung käme dann in Betracht, wenn das Austauschverhältnis auf Dauer erheblich gestört sei.
Es bestehe eine negative Zukunftsprognose aufgrund der häufigen Erkrankungen in der Vergangenheit. Diese indizierten nach Ansicht der Kammer auch entsprechende Fehlzeiten für die Zukunft. Die Indizwirkung sei auch nicht deshalb entfallen, weil einzelne Krankheitsursachen künftig nicht mehr zum Tragen kämen. Zwar habe die Klägerin hinsichtlich einzelner Krankheitsursachen konkret vorgetragen, warum künftig nicht mehr mit Fehlzeiten zu rechnen sei, jedoch gelte dies lediglich für die Rückenbeschwerden, die depressiven Episoden, unfallbedingte Verletzungen und eine Kiefervereiterung sowie die Bluthochdruckerkrankung. Im Übrigen seien die Behauptungen nur pauschal. Auch vorgelegte Atteste seien insoweit nicht ergiebig.
Auch soweit zugunsten der Klägerin unterstellt werden könne, dass die Krankheitszeiten, zu denen sie konkret vorgetragen hat, künftig nicht mehr relevant seien, würden die verbleibenden Fehlzeiten die negative Zukunftsprognose rechtfertigen. Es verblieben in dem Fall für das Jahr 2006 51 Arbeitstage, für das Jahr 2007 67 Arbeitstage, für das Jahr 2008 50 Arbeitstage, für das Jahr 2009 53 Arbeitstage und für das Jahr 2010 58 Arbeitstage. Dies sei für die Prognose künftiger Fehlzeiten ausreichend, insbesondere auch deshalb, da es sich um wechselnde Erkrankungen handele.
Ergänzend, wenn auch nicht tragend, weist das Arbeitsgericht auch auf ein Gutachten des Gesundheitsamtes der Stadt Düsseldorf mit einer negativen Zukunftsprognose hin.
Die negative Zukunftsprognose würde auch zu erheblichen Beeinträchtigungen der betrieblichen Belange der Beklagten führen, die eine krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung rechtfertigen würden. Hierbei seien die Betriebsablaufstörungen und die wirtschaftlichen Belastungen, die einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigen, zu berücksichtigen. Die Beklagte hätte jährlich für acht bis zehn Wochen Entgeltfortzahlungskosten zu erbringen.
Die Interessenabwägung führe ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Kündigung auch dann zu Recht ausgesprochen sei, wenn die familiären Verhältnisse der Klägerin, ihre Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung berücksichtigt würden. Es sei zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass diese sich über mehrere Jahre bemüht gezeigt habe, den Arbeitsplatz der Klägerin ihrer Belastung entsprechend zu gestalten. Das Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements sei mehrfach durchgeführt worden.
Gegen das der Klägerin am 08.11.2011 zugestellte Urteil legte sie am 29.11.2011 Berufung ein, die am 28.12.2011 begründet wurde.
Die Klägerin trägt vor, eine negative Zukunftsprognose sei zum Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr gegeben. Es handele sich um ein multiples Krankheitsbild, das auch ihrer Schwerbehinderung zugrunde läge. Die Erkrankungen der Klägerin seien ärztlicherseits so eingestellt, dass s...