Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachwirkung bei Anwendung eines Tarifvertrages aufgrund betrieblicher Übung
Leitsatz (amtlich)
Gewährt der Arbeitgeber tarifliche Leistungen unabhängig von der Gewerkschaftsangehörigkeit an sämtliche Arbeitnehmer kraft betrieblicher Übung, so haben die nicht organisierten Arbeitnehmer nach Ablauf des gekündigten Tarifvertrages im Nachwirkungszeitraum des § 4 Abs. 5 TVG Anspruch auf Weitergewährung kraft betrieblicher Übung.
Normenkette
TVG § 4 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Duisburg (Urteil vom 15.05.1997; Aktenzeichen 1 Ca 222/97) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 15.05.1997 – 1 Ca 222/97 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist bei der Beklagten seit August 1985 als Stahl- und Betonbauer beschäftigt. Er war in den Jahren 1991 und 1992 Mitglied der Industriegewerkschaft Bau/Steine/Erden.
Die tarifgebundene Beklagte zahlte hatte seit Jahren an sämtliche Mitarbeiter ihrer D Niederlassung unabhängig von ihrer Tarifbindung mit dem Novemberentgelt ein 13. Monatseinkommen nach dem Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 17.04.1990 in der Fassung vom 23.06.1995 gezahlt.
Nachdem dieser Tarifvertrag zum 31.10.1996 gekündigt worden war, hat die Beklagte mit den Monatsbezügen für den November 1996 an ihre Mitarbeiter ebenfalls unabhängig von ihrer Tarifbindung nur 2/3 des 13. Monatseinkommens gezahlt. An den Kläger zahlte sie 3.502,– DM brutto. Mit der vorliegenden Klage begehrt er Zahlung des restlichen Drittels in Höhe von 1.748,15 DM brutto.
Er hat zur Begründung ausgeführt, daß ihm der Anspruch schon aus Tarifrechtsgesichtspunkten zustehe. Es bestehe beiderseitige Tarifbindung bezüglich des Tarifvertrages über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens für die gewerblichen Arbeitnehmer und Auszubildenden im Baugewerbe vom 27.04.1990. Da im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Tarifvertrages am 01.04.1990 sowohl der Kläger als auch die Beklagte Mitglied der Tarifvertragsparteien gewesen seien, bestehe die Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG fort, bis der Tarifvertrag ende. Wegen des hier streitigen Anspruchs sei der Kläger demnach nicht anders zu behandeln als seine eben falls klagenden Kollegen, die immer noch Mitglied der Industriegewerkschaft Bau/Steine/Erden seien. Im übrigen könne der Kläger sich im Falle einer nicht Tarifgebundenheit auf jeden Fall auf eine bei der Beklagten bestehende betriebliche Übung berufen, wonach alle organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmer hinsichtlich der Zahlung eines 13. Monatseinkommens gleich behandelt werden. Aus dieser Gleichbehandlung folge, daß auch nicht tarifgebundene Arbeitnehmer faktisch in den Genuß der Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG kommen müßten, da anderenfalls keine Gleichbehandlung mehr vorliege.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.748,15 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem entsprechenden Nettobetrag seit dem 15.12.1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch auf ein restliches tarifliches 13. Monatseinkommen in Höhe von 1.748,15 DM brutto nicht zu.
Nachdem der einschlägige Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 27.04.1990 zum 31.10.1996 wirksam gekündigt worden sei, habe diese Kündigung die Entstehung eines tariflichen Anspruchs per 30.11.1996 (Stichtag) verhindert.
Der Kläger könne sich auch nicht auf § 3 Abs. 3 TVG mit Rücksicht auf seine Gewerkschaftszugehörigkeit in den Jahren 1991 und 1992 mit Erfolg berufen. Denn das Ende des genannten Tarifvertrages im Sinne des § 3 Abs. 3 TVG liege noch vor dem 31.10.1996, weil die ursprüngliche Fassung vom 27.04.1990 unstreitig durch eine Neufassung vom 23.06.1995 ersetzt worden sei. Bei einer Tarifänderung ende die Tarifgebundenheit des aus der Gewerkschaft ausgeschiedenen Arbeitnehmers nämlich bereits mit ihrem Inkrafttreten.
Weiter komme dem Kläger auch eine betriebliche Übung für sein Klagebegehren nicht zugute. Zwar bestehe in der Niederlassung D der Beklagten die Praxis, alle Tarifverträge anzuwenden und insoweit nicht zwischen organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern zu unterscheiden. Von dieser Übung sei auch der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens erfaßt worden, allerdings nur, solange er gegolten habe. Was die Anwendung nicht mehr geltender (im Verhältnis zu organisierten Arbeitnehmern gegebenenfalls nachwirkender) Tarifverträge betreffe, existiere keine Übung, also auch nicht bezüglich des genannten Tarifvertrages.
Auch sei ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gegeben. Die Beklagte habe nämlich in den alten Bundesländern einheitlich allen Arbeitnehmern ein 13. Monatseinkommen in Höhe von 2/3 gewährt, ohne zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern zu unterscheiden. Aus der bloßen Tatsache, daß die Beklagte in Einzelfällen zur Na...