Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwer behinderten Maschinenarbeiters wegen öffnen und durchsuchen des Spindes des eines Kollegen
Leitsatz (amtlich)
Einzelfallentscheidung über eine Kündigung wegen einer Tätlichkeit gegenüber einem Fremdarbeitnehmer, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein ausreichendes Gewicht zur Rechtfertigung der Kündigung hatte.
Leitsatz (redaktionell)
Das Öffnen des Spindes eines Arbeitskollegen und das Entnehmen von Gegenständen zur Verwendung in der Produktion vermag die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Produktionsarbeiters nicht zu rechtfertigen, wenn der Spind ausdrücklich dem Arbeitsbereich zugeordnet ist und nicht zur Verwahrung persönlicher Gegenstände dient.
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 1
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 01.08.2017; Aktenzeichen 6 Ca 2396/17) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 01.08.2017 - 6 Ca 2396/17 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlich fristlosen, sowie einer hilfsweisen ordentlichen Kündigung.
Der 1968 geborene und mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehinderte Kläger ist bei der Beklagten, die mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt, seit dem 01.06.1994 beschäftigt, zuletzt als Maschinenarbeiter mit einem Gehalt von monatlich durchschnittlich 2.895,86 € brutto. Auf das Arbeitsverhältnis findet nach § 6 des Arbeitsvertrages unter anderem der Manteltarifvertrag für die Feuerfest-/Säureschutzindustrie Anwendung. Hinsichtlich der Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird auf diesen ergänzend Bezug genommen (Anlage K1, Bl. 18 ff. GA).
Mit Datum vom 16.11.2015 wurde der Kläger von der Beklagten dafür abgemahnt, aus einem persönlichen Notizbuch eines Kollegen mehrere Seiten entfernt und in den Papierkorb geworfen zu haben. Wegen der Einzelheiten der Abmahnung wird auf die Anlage B2 Bezug genommen (Bl. 170 GA).
Bei der Beklagten bestehen zwei unterschiedliche Arten von persönlich den Mitarbeitern zugeordneten Spinden, nämlich solche im Umkleidebereich, in welche die Arbeitnehmer Kleidung und andere persönliche Sachen einlegen, und solche unmittelbar in der Produktion, in welchen typischerweise Werkzeug verwahrt wird, in die aber auch Handys oder Frühstücksbrote eingelegt werden dürfen. Am 06.04.2017 entnahm der Kläger dem Spind eines Arbeitskollegen in der Produktion ein Cuttermesser sowie Verbrauchsmaterialien für die Arbeit (eine Filz- und eine Blechunterlage). Das Messer beließ er nach der Schicht an der Maschine, die Unterlagen verbrauchte er für den Maschinenbetrieb.
Am nächsten Tag beschwerte sich der Kollege bei der Beklagten darüber, dass sein Spind durchwühlt worden sei. Er könne aber nicht sagen, ob etwas fehle. Sein am Spind angebrachtes Vorhängeschloss war nicht beschädigt.
Nach Sichtung von Videoaufzeichnungen aus der Produktion befragte die Beklagte den Kläger zu den Vorfällen am 11.04.2017. In diesem Rahmen erklärte der Kläger, ein bestimmtes Teil gesucht zu haben. Nachdem die Beklagte dem Kläger vorgeworfen hatte, ausweislich der Videoaufzeichnung nach Auffinden und Entnehmen eines Teils aus dem Spind noch zehn Minuten vor dem Schrank verweilt zu haben, entgegnete der Kläger, dass dies eine große Dummheit von ihm gewesen sei.
Mit Schreiben vom 24.04.2017 beantragte die Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers. Mit Schreiben vom 10.05.2017 teilte das Integrationsamt den Eintritt der Zustimmungsfiktion nach § 91 Abs. 3 S. 2 SGB IX mit Ablauf des 09.05.2017 mit.
Mit Schreiben vom 10.05.2017 erklärte die Beklagte die außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Weiterhin erklärt die Beklagte nach Zustimmung des Integrationsamtes (Anlage BB1, Bl. 257 f. GA) mit Schreiben vom 12.07.2017 die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2017.
Mit seiner am 26.04.2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen und mit Schriftsatz vom 12.07.2017 hinsichtlich der hilfsweisen ordentlichen Kündigung erweiterten Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigungen. Er hat geltend gemacht, dem Kollegen keine persönlichen Gegenstände entwendet zu haben. In dem aufgrund seines Standortes in der Produktion stark verdreckten Spind hätte er persönliche Gegenstände weder vermutet noch vorgefunden. Die Spinde in der Produktion würden von den Beschäftigten ausschließlich als Ablage für Arbeitsmittel genutzt. Der Kläger behauptet, er habe den Spind geöffnet, um nach dem Arbeitsmaterial und dem Cuttermesser zu suchen. Letztere befänden sich normalerweise an der Maschine und seien nicht persönlich zugeordnet. Der Spind sei unverschlossen gewesen, das Vorhängeschloss sei nicht verschlossen gewesen, anderenfalls hätte er es auch nicht ohne Substanzbeeinträchtigung öffnen können.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, dass das Ar...