Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen eines Nachteilsausgleichsanspruchs bei einer zwei Jahre nach dem unterbliebenen Interessenausgleich erfolgten Entlassung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Kausalität im Rahmen des Nachteilsausgleichsanspruches nach § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BetrVG bei einer erst nach zwei Jahren seit dem unterbliebenen Interessenausgleich erfolgenden Entlassung.

2. Zur Frage der gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer Unternehmen eines Gemeinschaftsbetriebes für den Abfindungsanspruch aus § 113 Abs. 1 und Abs. 3 BetrVG.

 

Leitsatz (redaktionell)

Wird ein Arbeitnehmer erst zwei Jahre nach der Durchführung eines Interessenausgleichs entlassen, so steht ihm ein Nachteilsausgleichsanspruch gem. § 113 Abs. 3 BetrVG zu.

 

Normenkette

BetrVG § 113 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Solingen (Entscheidung vom 12.05.2016; Aktenzeichen 2 Ca 1607/14)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 12.05.2016 - 2 Ca 1607/14 - teilweise abgeändert:

Die Beklagte zu 2) wird verurteilt,

  1. an den Kläger einen Nachteilsausgleich in Höhe von 20.708,70 Euro brutto zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.12.2014 zu zahlen;
  2. an den Kläger eine Sozialplanabfindung in Höhe von 4.314,31 Euro brutto zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2014 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 45 % und die Beklagte zu 2) zu 55 %; die Beklagten zu 1) und 3) bis 6) tragen keine Kosten.

Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Nachteilsausgleichsansprüche.

Der Kläger war bei der Beklagten zu 2) von 1985 bis zum 31.05.2014 als Lkw-Fahrer beschäftigt gewesen. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund arbeitgeberseitiger ordentlicher Kündigung vom 24.10.2013. Der Kläger, der der Betriebsratsvorsitzende des Betriebsrats der L. Gruppe war, erzielte ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von durchschnittlich 3.451,45 Euro.

Im Jahre 2010 war von allen Mitarbeitern der L. Gruppe ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt worden. Am 30.08.2011 fassten die Gesellschafter der Beklagten zu 2) den Beschluss, den von ihr geführten Baubetrieb zum 31.03.2012 vollständig einzustellen. Die vorhandenen Aufträge sollten abgewickelt und neue nur noch angenommen werden, wenn die Abarbeitung bis zum 31.03.2012 sicher gestellt sei. Im Gesellschafterbeschluss vom 30.08.2011 war unter Ziff. 6. aufgenommen worden:

"Über den 31.03.2012 hinaus werden nur noch etwa bestehende Restarbeiten / Mängelbeseitigungsarbeiten und Gewährleistungsarbeiten vorgenommen. Die Geschäftsleitung wird angewiesen, bis zum 21.12.2011 ein Konzept hinsichtlich der internen / externen Durchführung zu erarbeiten und der Gesellschafterversammlung vorzulegen."

Mit Schreiben vom 30.09.2011 kündigte die Beklagte zu 2) allen Arbeitnehmern, ohne zuvor den Abschluss eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat versucht zu haben. Im Hinblick auf die dem Kläger gegenüber ausgesprochene und von diesem angegriffene Kündigung erging ein Anerkenntnisurteil, der Kläger wurde weiterbeschäftigt. Da erst nach Ausspruch aller Kündigungen im Rahmen der Einsetzung einer Einigungsstelle ein Interessenausgleich/Sozialplan verhandelt werden konnte, bekamen schließlich eine Vielzahl von gekündigten Arbeitnehmern im Rahmen von arbeitsgerichtlichen Prozessen Nachteilsausgleichsansprüche zugesprochen.

Mit Beschluss vom 09.09.2013 wurde schließlich die endgültige Schließung des Betriebs der Beklagten zu 2), der Verkauf des Grundstücks sowie die Kündigung der 3 verbliebenen Arbeitnehmer, so die auch des Klägers beschlossen. Mit Beschluss vom 31.08.2012 wurde die Gesellschaft der Beklagten zu 1) aufgelöst und am 30.11.2012 die Liquidation der Beklagten zu 3) beschlossen. Der seinerzeit verhandelte Sozialplan (Blatt 49 ff. der Akte) sieht unter § 2 einen Abfindungsanspruch vor und zwar für den Fall, dass Nachteilsansprüche nicht bestehen, in Höhe von einem Bruttomonatsgehalt x 1,75 insgesamt. Dies ergibt im Falle des Klägers einen Betrag in Höhe von 6.040,03 Euro brutto.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, im August 2011 habe ein gemeinsamer Betrieb der Gesellschaften der L. Gruppe bestanden. Die Stilllegung des Baubetriebes habe als Nachteilsausgleichsansprüche auslösende Betriebsänderung nicht nur die im Jahre 2011 gekündigten Mitarbeiter betroffen, sondern darüber hinaus auch den Kläger. Denn auch er sei "infolge" dieser Betriebsänderung entlassen worden. Es bestehe ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem Beschluss vom 30.08.2011 (Betriebsstilllegung) und seiner späteren Entlassung, die nach Abschluss der Abwicklungsarbeiten im Jahre 2013 zu Ende Mai 2014 - unstreitig - erfolgt war. Die Abwicklungsarbeiten in Form von Gewährleistungsarbeiten und Mängelbeseitigung würden naturgemäß einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen, als übliche Geschäftstätigkeiten, so dass der Zeitraum zwischen August 2011 und seiner Entlassung im Ok...

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