Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindungszahlung als Nachteilsausgleich. Gesamtschuldnerische Haftung beim Gemeinschaftsbetrieb

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Es besteht ein Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben und Arbeitnehmer infolge der Maßnahme entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden. Ein nachträglicher Interessenausgleich kann einen Verstoß gegen § 113 Abs. 3 BetrVG nicht heilen.

2. Bei einem Gemeinschaftsbetrieb kommt eine gesamtschuldnerische Haftung der Unternehmer der einzelnen Betriebe in Betracht. Wird indessen nur eine unternehmerische Zusammenarbeit praktiziert, bei der ein Führungsgremium die Aufgaben für alle Unternehmen in Bezug auf deren personelle und soziale Angelegenheiten nicht zwangsläufig einheitlich wahrnimmt, sondern diese auch organisatorisch voneinander getrennt leitet, besteht kein Gemeinschaftsbetrieb.

 

Normenkette

BetrVG §§ 111, 113 Abs. 3; KSchG § 1 Abs. 5, § 10

 

Verfahrensgang

ArbG Solingen (Entscheidung vom 12.05.2016; Aktenzeichen 2 Ca 1608/14)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 12.05.2016 - 2 Ca 1608/14 - teilweise abgeändert:

Die Beklagte zu 2) wird verurteilt,

  1. an den Kläger einen Nachteilsausgleich in Höhe von 40.500,00 Euro brutto zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.12.2014 zu zahlen;
  2. an den Kläger eine Sozialplanabfindung in Höhe von 5.113,93 Euro brutto zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2014 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 48 % und die Beklagte zu 2) zu 52 %; die Beklagten zu 1) und 3) bis 6) tragen keine Kosten.

Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Nachteilsausgleichsansprüche.

Der Kläger war bei der Beklagten zu 2) vom 01.04.1989 bis zum 31.05.2014 als Polier beschäftigt gewesen. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund arbeitgeberseitiger ordentlicher Kündigung vom 07.10.2013. Der Kläger erzielte ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von durchschnittlich 4.091,15 Euro.

lm Jahre 2010 war von allen Mitarbeitern der L. Gruppe ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt worden. Am 30.08.2011 fassten die Gesellschafter der Beklagten zu 2) den Beschluss, den von ihr geführten Baubetrieb zum 31.03.2012 vollständig einzustellen. Die vorhandenen Aufträge sollten abgewickelt und neue nur noch angenommen werden, wenn die Abarbeitung bis zum 31.03.2012 sichergestellt sei. Im Gesellschafterbeschluss vom 30.08.2011 war unter Ziff. 6 aufgenommen worden:

"Über den 31.03.2012 hinaus werden nur noch etwa bestehende Restarbeiten / Mängelbeseitigungsarbeiten und Gewährleistungsarbeiten vorgenommen. Die Geschäftsleitung wird angewiesen bis zum 21.12.2011 ein Konzept hinsichtlich der internen / externen Durchführung zu erarbeiten und der Gesellschafterversammlung vorzulegen."

Mit Schreiben vom 30.09.2011 kündigte die Beklagte zu 2) allen Arbeitnehmern, Ohne zuvor den Abschluss eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat verbucht zu haben. Im Hinblick auf die dem Kläger gegenüber ausgesprochene und von diesem angegriffene Kündigung erging ein Anerkenntnisurteil, der Kläger wurde weiterbeschäftigt. Da erst nach Ausspruch aller Kündigungen im Rahmen der Einsetzung einer Einigungsstelle ein Interessenausgleich/Sozialplan verhandelt werden konnte, bekamen schließlich eine Vielzahl von gekündigten Arbeitnehmern im Rahmen von arbeitsgerichtlichen Prozessen Nachteilsausgleichsansprüche zugesprochen.

Mit Beschluss vom 09.09.2013 wurde schließlich die endgültige Schließung des Betriebs der Beklagten zu 2), der Verkauf des Grundstücks sowie die Kündigung der 3 verbliebenen Arbeitnehmer, so die auch des Klägers beschlossen. Mit Beschluss vom 31.08.2012 wurde die Gesellschaft der Beklagten zu 1) aufgelöst und am 30.11.2012 die Liquidation der Beklagten zu 3) beschlossen. Der seinerzeit verhandelte Sozialplan (Blatt 49 ff. der Akte) sieht unter § 2 einen Abfindungsanspruch vor und zwar für den Fall, dass Nachteilsansprüche nicht bestehen, in Höhe von einem Bruttomonatsgehalt x 1,75 insgesamt. Dies ergibt im Falle des Klägers einen Betrag in Höhe von 7.159,51 Euro brutto.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, im August 2011 habe ein gemeinsamer Betrieb der Gesellschaften der L. Gruppe bestanden. Die Stilllegung des Baubetriebes habe als Nachteilsausgleichsansprüche auslösende Betriebsänderung nicht nur die im Jahre 2011 gekündigten Mitarbeiter betroffen, sondern darüber hinaus auch den Kläger. Denn auch er sei "infolge" dieser Betriebsänderung entlassen worden. Es bestehe ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem Beschluss vom 30.08.2011 (Betriebsstilllegung) und seiner späteren Entlassung, die nach Abschluss der Abwicklungsarbeiten im Jahre 2013 zu Ende Mai 2014 - unstreitig - erfolgt war. Die Abwicklungsarbeiten ...

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