Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindungsanspruch aus Sozialplan vier Jahre nach Betriebsschließung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine mehrere Jahre nach Durchführung einer Betriebsschließung ausgesprochene Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis auch dann gemäß dem Sozialplan "in Folge" der Betriebsänderung, wenn sie weiterhin deren unmittelbare Folge ist.
2. Das ist nicht der Fall, wenn die Kausalverbindung durch eine andere Kausalkette in der Weise überlagert worden ist, dass - bei wertender Betrachtung - ein den Abfindungsanspruch tragender ausreichender Zusammenhang zwischen Schließung und Kündigung nicht mehr besteht.
3. Allein die stets gebotene Prüfung, dass bei Ausspruch der Kündigung keine unternehmensweite Weiterbeschäftigung möglich ist, bildet keine neue Ursache für die Kündigung und ist daher nicht geeignet, den vom Sozialplan geforderten Zusammenhang entfallen zu lassen.
Normenkette
BetrVG § 112 Abs. 1, § 77 Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Oberhausen (Entscheidung vom 16.01.2019; Aktenzeichen 3 Ca 1305/18) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 16.01.2019 - 3 Ca 1305/18 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Sozialplanabfindung wegen einer mehrere Jahre nach der Betriebsstilllegung ausgesprochenen Kündigung.
Die Beklagte stellte in ihrem Betrieb in E. unter ihrem damaligen Namen "U. L. Q. T. Tec GmbH" (U. Q.) Lenkungen für die Automobilindustrie her. Der im März 1964 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 01.06.1999 bei ihr als Prozessingenieur zu einer monatlichen Festvergütung von zuletzt 4.946,16 EUR brutto zuzüglich Urlaubs- und Weihnachtsgeld und vermögenswirksamer Leistungen beschäftigt. Er war Mitglied des Betriebsrats.
Wegen der beabsichtigten Schließung ihres Betriebes zum 31.12.2012 vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat bereits am 26.09.2007 einen Interessenausgleich (Bl. 71-73 GA) sowie einen Sozialplan (Bl. 78-87 GA). Auf deren Inhalt wird Bezug genommen. In dem Sozialplan (SP) heißt es:
"1 Präambel
1.1 Mit dem Interessenausgleich vom 26.09.2007 haben die Betriebsparteien die Umsetzung der geplanten Betriebsschließung zum 31.12.2012 näher geregelt.
1.2 Zum Ausgleich und zur Milderung von wirtschaftlichen Nachteilen, die den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (im Folgenden: AN) durch Wegfall oder Verlagerung ihres Arbeitsplatzes entstehen, werden die nachstehenden Regelungen vereinbart.
…
2 Geltungsbereich
2.1 Dieser Sozialplan gilt für alle AN, die spätestens am 31.12.2006 in einem unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnis zu U. Q. gestanden haben und deren Arbeitsverhältnisse infolge der im Interessenausgleich genannten Betriebsänderung betriebsbedingt beendet oder verlagert werden.
2.2 Betriebsbedingte Beendigungstatbestände sind Kündigungen durch U. Q. oder deren Rechtsnachfolger, Aufhebungsverträge oder betriebsbedingte, im Einzelfall persönlich und konkret arbeitgeberseitig veranlasste Eigenkündigungen …
…
3 Verlagerung von Arbeitsplätzen/Regelungen zur Zumutbarkeit
…
4 Leistungen bei Annahme eines Arbeitsplatzes in anderen Unternehmen
…
4.5 Wird das Arbeitsverhältnis nach einem Wechsel in ein anderes Unternehmen des U. Konzerns in der Zeit bis zum 31.12.2012 betriebsbedingt gekündigt, so behalten die betroffenen Arbeitnehmer alle Ansprüche aus dem jeweils im Unternehmen der U. Q. zur Anwendung kommenden Sozialplan. Angerechnet werden alle bereits erhaltenen Leistungen aus diesem Sozialplan und von dem anderen Unternehmen in diesem Zusammenhang geleistete Zahlungen. Im Falle, dass der im neuen Unternehmen betriebsbedingt gekündigte Arbeitnehmer Ansprüche aus dem in der U. Q. zur Anwendung kommenden Sozialplan geltend macht, kann er keine Rechte mehr aus einem Sozialplan des anderen Unternehmens des U. Konzerns geltend machen.
…
4.6 Wird das Arbeitsverhältnis nach einem Wechsel in ein anderes Unternehmen von diesem nach dem 31.12.2012 innerhalb von 36 Monaten betriebsbedingt gekündigt, so haben die betroffenen Arbeitnehmer einen anteiligen Anspruch auf Abfindung aus dem vorliegenden Sozialplan gem. der Formel
Abfindung Sozialplan x (1 - Beschäftigungsmonate im neuen Unternehmen / 48)
5 Ausgleichsleistungen
5.1 Wird infolge der im Interessenausgleich geregelten Betriebsänderung ein Arbeitsverhältnis nach Nr. 2.2 beendet, erhält der AN eine Brutto-Abfindung nach der Formel
Lebensalter x Betriebszugehörigkeit x Monatsbruttoentgelt : 75
…"
In dem Interessenausgleich heißt es:
"9. Inkrafttreten / Laufzeit
Der Interessenausgleich tritt mit Unterzeichnung in Kraft und endet am 30.09.2013."
Zum 31.12.2012 legte die Beklagte ihren Geschäftsbetrieb still und kündigte in diesem Zusammenhang sämtliche Arbeitsverhältnisse, u.a. auch das des Klägers, aus betriebsbedingten Gründen zum 31.12.2012. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage des Klägers und eines weiteren Mitarbeiters der Beklagten war wegen nicht ordnungsgemäßer Massenentlassungsanzeige iSd. § 17...