Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellung auf künftige höhere Vergütung im Wege des Schadensersatzes. Änderung der Senioritätsregeln für beruflichen Aufstieg vom First Officer zum Kapitän einer Fluggesellschaft. Bestandsschutz von Altbeschäftigten bei Systemänderung der Senioritäsregeln. Gleichheitssatz bei Systemumstellung des beruflichen Aufstiegs
Leitsatz (amtlich)
1. Die Tarifvertragsparteien dürfen die Senioritätsregeln für den beruflichen Aufstieg vom First Officer zum Kapitän durch nachfolgenden Tarifvertrag ändern. Sie haben dabei den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten und dürfen nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen.
2. Diese Anforderungen sind hier erfüllt. Die Tarifvertragsparteien durften eine Umstellung auf ein System, das tatsächliche Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit mischt (Gruppe 2), vornehmen und dabei zugleich sog. "Altbeschäftigten" (Gruppe 1) Bestandsschutz in ihrer bisher allein arbeitgeberbezogen erworbenen Seniorität zubilligen.
3. Ist nach den tariflichen Prämissen davon auszugehen, dass die Beschäftigungsdauer bei der Arbeitgeberin kein angemessenes Ordnungsmerkmal für den betrieblichen Aufstieg darstellt, ist es tendenziell nicht nachvollziehbar, zu diesem System nach einem bestimmten Zeitraum tariflich für die Zukunft (ab dem 01.01.2019 - Gruppe 3) wieder zurückzukehren. Dies führte hier nicht zum Erfolg der Klage. Ggfs. kann sich ein ab dem 01.01.2019 eingestellter Beschäftigter darauf berufen, dass er aufgrund seiner tatsächlichen, aber nicht auf die Beklagte bezogenen höheren Berufserfahrung gemäß den Kriterien der Gruppe 2 eine bessere Seniorität hat und die Anwendung dieser Senioritätsregeln für Gruppe 2 verlangen. Dies hilft dem vor dem 01.01.2019 eingestellten Kläger aus Gruppe 2 nicht, denn entweder verbleiben diese Beschäftigten in der Seniorität hinter ihm oder aber sie ziehen an ihm vorbei. Einen besseren Platz als bisher kann der Kläger so nicht erreichen.
4. Zu den prozessualen Voraussetzungen der Geltendmachung entgangenen - künftigen - Verdiensts in Form eines Schadensersatzanspruchs.
Normenkette
TVG § 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; ZPO § 97 Abs. 1, § 253 Abs. 2 Nr. 2, §§ 256-257, 308
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 04.05.2022; Aktenzeichen 15 Ca 168/22) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 04.05.2022 - Az. 15 Ca 168/22 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zeitliche Geltung und die Wirksamkeit der Ablösung der tariflichen Senioritätsregeln. Daraus ableitend macht der Kläger einen Anspruch auf Ausbildung vom First Officer zum Flugkapitän, eine daraus folgende Beförderung, Schadensersatz auf Differenzvergütung sowie die Unterlassung der Anwendung bestimmter tariflicher Senioritätsregeln auf ihn geltend. Für die Zukunft verlangt er, die Beklagte zu verpflichten, ihn bei künftigen Förderungsmaßnahmen zu berücksichtigen.
Der Kläger war in der Zeit von März 2017 bis Dezember 2017 bei der Air C. PLC & Co. Luftverkehrs AG (im Folgenden "Air C.") als Co-Pilot beschäftigt. Seit dem 12.01.2018 war er bei der Beklagten, die vormals als F. Luftverkehrs AG firmierte, als First Officer in Teilzeit (91,7 %) an der Station R. beschäftigt. Grundlage war der Anstellungsvertrag vom 12.01.2018. In diesem hieß es u.a.:
"3. Geltung von Tarifverträgen
(1) Auf das Arbeitsverhältnis finden die im Betrieb jeweils für die Berufsgruppe des Mitarbeiters einschlägigen, normativ geltenden Verbands- und Firmentarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Derzeit sind dies der Manteltarifvertrag Nr. 6 für die Beschäftigten des Cockpitpersonals der F. GmbH sowie der Vergütungstarifvertrag Nr. 7 für die Beschäftigten des Cockpitpersonals der F. GmbH.
..."
Diese Bezugnahmeklausel ist nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien so zu verstehen, dass sämtliche in Nr. 3 Absatz 1 Satz 1 genannten Tarifverträge Anwendung finden und der zweite Satz - beginnend mit "derzeit" - nur so zu verstehen ist, dass dies eigentlich ein "insbesondere" meint.
Weiterhin heißt es in Ziffer 10. des Anstellungsvertrages unter der Überschrift "Vorbehalt abweichender kollektiver Regelungen":
"Sämtliche Regelungen dieses Vertrages stehen unter dem Vorbehalt abweichender Regelungen in - sowohl normativ als auch über Ziffer 3. dieses Vertrages geltenden - Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen. Dies gilt insbesondere, aber nicht ausschließlich, für die Regelungen der Ziffern 2. bis 6. und 6. bis 8. dieses Vertrages. Kollektive Regelungen nach Satz 1 können insbesondere auch zum Nachteil des Mitarbeiters von den Regelungen dieses Vertrages abweichende Regelungen treffen, die dann zur Anwendung kommen."
Der Kläger war zuletzt der Tarifgruppe FO 08 zugeordnet und erzielte ein Bruttomonatsgehalt von 5.007,76 Euro zuzüglich einer Flugzulage in Höhe von 917,00 Euro brutto. Seinen ersten kommerziellen Flug für die Beklagte...