Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsvertraglicher Anspruch eines Beschäftigten auf Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie
Leitsatz (amtlich)
Zur Inbezugnahme des Tarifvertrags "über Sonderzahlungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise" für den Öffentlichen Dienst Bund/Kommunen vom 22.04.2023 durch einen Formulararbeitsvertrag, der eine dynamische Bezugnahmeklausel auf die Eingruppierungs- und Vergütungsregelungen des BAT enthält - ergänzende Vertragsauslegung
Normenkette
BGB § 305 Abs. 1, § 305c Abs. 2, § 611a Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Essen (Entscheidung vom 07.02.2024; Aktenzeichen 4 Ca 1958/23) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 07.02.2024 - Az.: 4 Ca 1958/23 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 3.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus 1.680,00 € seit dem 01.09.2023 und aus weiteren 1.320,00 € seit dem 01.03.2024 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie. Die Klägerin ist seit dem 16.08.2001 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Pflegehelferin/Angestellte in der Pflege vollzeitbeschäftigt.
In dem Arbeitsvertrag zwischen den Parteien vom 15.08.2001 (Bl. 124 ff. der Akte) heißt es - auszugsweise - wie folgt:
"§ 2 Vergütung
Der Mitarbeiter erhält eine Grundvergütung entsprechend des BAT Kr I/ Stufe 9, inkl. Ortszuschlag und allgemeine Zulage i.H.v. DM 3.822,58; zuzgl. Zulagen für Samstags-, Sonntags-, Nacht- u. Feiertagsarbeit entsprechend der Betriebsvereinbarung.
Mit dieser Vergütung sind alle weitergehenden Ansprüche aus der vereinbarten Tätigkeit abgegolten.
§ 3 Sonderzahlungen
In der Betriebsvereinbarung vom 17.02.1993, welche ein Bestandteil dieses Arbeitsvertrages ist, sind alle Sonderzahlungen geregelt."
Nach der Ablösung der Vergütungsordnung zum BAT durch die Entgeltordnung zum TVöD stritten die Parteien darüber, ob der Klägerin - in Auslegung der arbeitsvertraglichen Bestimmungen - ein Anspruch auf Zahlung der sich erhöhenden Tabellenentgelte nach dem TVöD zusteht. Das Bundesarbeitsgericht entschied mit Urteil vom 11.04.2018 im Verfahren 4 AZR 265/17, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin nach der Vergütungsgruppe 3a/Stufe 6 TVöD/VKA zu vergüten. Dabei handelt es sich nunmehr um die Vergütungsgruppe P5 Stufe 6 TVöD/VKA.
Das "Gesetz zur temporären Absenkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz" vom 25.10.2022 ermöglicht es Arbeitgebern, ihren Arbeitnehmern im Zeitraum vom 26.10.2022 bis zum 31.12.2024 einen Betrag in Höhe von bis zu 3.000,00 € steuer- und sozialversicherungsfrei als sog. "Inflationsausgleichsprämie" zu zahlen.
Die Tarifvertragsparteien erzielten am 22.04.2023 in der Tarifverhandlung für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen 2023 eine inhaltliche Einigung. Nach "Teil A Gemeinsame Regelungen für Bund und VKA" (Bl. 10 f. der erstinstanzlichen Akte), dort Ziffer 1. a), sollten die Tabellenentgelte einschließlich der Beträge aus individuellen Zwischen- und Endstufen sowie die Tabellenwerte der Entgeltgruppen 2Ü und 15Ü ab dem 01.03.2024 um 200,00 € und anschließend um 5,5% erhöht werden. Soweit dabei keine Erhöhung um 340,00 € erreicht werde, werde der betreffende Erhöhungssatz auf 340,00 € gesetzt. Erhöhungen der Tabellenentgelte für den Zeitraum vor dem 01.03.2024 waren nicht vorgesehen.
Gemäß Teil A Ziffer 1. b) der tariflichen Einigung schlossen die Tarifvertragsparteien weiterhin den "Tarifvertrag über Sonderzahlungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise (TV Inflationsausgleich) vom 22.04.2023" (Bl. 15 ff. der erstinstanzlichen Akte). In diesem ist unter anderem geregelt:
"§ 2
Inflationsausgleich 2023
(1) Personen, die unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fallen, erhalten eine einmalige Sonderzahlung mit dem Entgelt für den Monat Juni 2023 (Inflationsausgleich 2023), wenn ihr Arbeitsverhältnis am 1. Mai 2023 bestand und an mindestens einem Tag zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 31. Mai 2023 Anspruch auf Entgelt bestanden hat.
(2) Die Höhe des Inflationsausgleichs 2023 beträgt für Personen, die unter den Geltungsbereich des TVöD, des TV-V oder des TV-Wald-Bund fallen, 1.240 Euro. Für Personen, die unter den Geltungsbereich des TVAöD, TVSöD, TVHöD, TVPöD oder TVA-Wald-Bund fallen, beträgt der Inflationsausgleich 2023 620 Euro. § 24 Absatz 2 TVöD bzw. § 7 Absatz 3 TV-V gelten entsprechend....
§ 3
Monatliche Sonderzahlungen
(1) Personen, die unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fallen, erhalten in den Monaten Juli 2023 bis Februar 2024 (Bezugsmonate) monatliche Sonderzahlungen. Die Auszahlung erfolgt mit dem Entgelt des jeweiligen Bezugsmonats. Der Anspruch auf den monatlichen Inflationsausgleich besteht jeweils nur, wenn in dem Bezugsmonat ein Arbeitsverhältnis b...